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Intrige (German Edition)

Intrige (German Edition)

Titel: Intrige (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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Dossier auf seinem Schreibtisch gesehen. Ich habe es sofort erkannt, weil auf dem Umschlag der Buchstabe D stand, den ich selbst dort hingeschrieben habe. Der Oberstleutnant hat gerade seinem Freund, Monsieur Leblois, ein bestimmtes Schriftstück gezeigt, in dem die Worte ›dieser Lump D‹ vorkommen. Ich habe alles so genau gesehen, wie ich Sie jetzt sehe, Herr General.«
    Ich schaue ihn fassungslos an. Wie kann man nur so schamlos lügen? Er hält meinem Blick vollkommen ungerührt stand.
    Ich erhalte den Befehl, einen Mann zu erschießen, also erschieße ich ihn …
    »Laut Ihrer Aussage haben Sie dann das Büro verlassen«, fährt Luxer fort. »Anschließend haben Sie Major Lauth und Monsieur Gribelin sofort von dem Vorfall berichtet. Stimmt das?«
    »Ja. Ich war zutiefst schockiert.«
    »Und Sie beide schwören, dass dieses Gespräch stattgefunden hat?«
    »Ja, Herr General«, sagt Lauth mit inbrünstiger Stimme.
    »Unbedingt, Herr General«, sagt Gribelin. Er wirft mir einen kurzen Blick zu. »Ich darf noch hinzufügen, dass ich auch gesehen habe, wie Oberstleutnant Picquart das Dossier seinem Freund gezeigt hat.«
    Sie hassen mich inzwischen weit mehr, als sie jemals Drey fus gehasst haben. Ich bewahre die Fassung. »Herr Vorsitzender, darf ich Sie bitten, Maître Leblois aufzurufen und seine Meinung dazu zu hören?«
    »Leider hält sich Maître Leblois derzeit in Straßburg auf, Herr Vorsitzender«, sagt Tézenas.
    »Nein«, sage ich. »Er hat den Leichnam seines Vaters nach Paris überführt, er ist gestern Nacht zurückgekommen. Er wartet unten.«
    Tézenas zuckt mit den Achseln. »Tatsächlich? Pardon, das habe ich nicht gewusst.«
    Louis wird geholt. Für einen Mann in Trauer ist er bemer kenswert gefasst. Befragt nach dem Treffen und dem Dossier, bestätigt er, dass es kein solches Treffen und kein solches Dossier gegeben habe, nur irgendwelchen Unfug über Brieftauben. Er wendet sich an die Richterbank. »Könnte das Gericht Oberstleutnant Henry fragen, wann dieser Vorfall angeblich stattgefunden hat?«
    Luxer fordert Henry mit einer Geste auf zu antworten. »Das war im September 96«, sagt dieser.
    »Nun, das ist völlig unmöglich«, sagt Louis. »96 ist mein Vater erkrankt, und in dem Jahr war ich von August bis November ohne Unterbrechung in Straßburg. Ich kann es beweisen. Ich habe nämlich das Visum nur unter der Bedingung erhalten, mich täglich bei den deutschen Behörden zu melden.«
    »Ist es möglich, Oberstleutnant Henry, dass Sie sich bei dem Datum irren?«, sagt Luxer.
    Henry wiegt den Kopf hin und her und mimt den scharf Nachdenkenden. »Ja, kann sein. Es könnte früher gewesen sein. Vielleicht auch später.«
    »Vielleicht auch nie«, sage ich. »Weil das Geheimdossier nämlich nicht vor August in meinen Besitz gelangt ist, wie Monsieur Gribelin bestätigen kann. Er hat es für mich aus Henrys Schreibtisch geholt. Und im Oktober wurde es mir von General Gonse …« Ich zeige auf ihn. »… wieder abgenommen. Das alles kann also gar nicht so gewesen sein.«
    Zum ersten Mal gerät Henry ins Schwitzen. Er wird nervös. »Tja, ich weiß nicht recht … Ich kann nur wiederholen, was ich gesehen habe …«
    Pellieux kommt ihm zu Hilfe. »Wenn Sie mir eine Bemerkung erlauben, Herr Vorsitzender. Inzwischen ist ein Jahr vergangen, da ist es doch kein Wunder, wenn man sich nicht mehr an ein genaues Datum erinnern kann …«
    Luxer ist seiner Meinung. Die Sitzung wird fortgesetzt. Um Mittag werde ich aus dem Zeugenstand entlassen.
    •
    Das Schlusswort von Esterházys Anwalt dauert fünf Stunden, bis acht Uhr abends. Während des Monologs seines Anwalts scheint Esterházy einmal kurz einzunicken. Sein kah ler Schädel kippt nach hinten. Als die Richter sich schließlich erheben und zur Urteilsfindung zurückziehen, wird er aus dem Saal geführt. Dabei salutiert er vor mir auf eine förmliche Weise, die mehr als nur einen Anflug von Hohn verrät. Mathieu Dreyfus ist zur Urteilsverkündung zurückgekommen ist und sitzt neben mir. »Was für ein Dreckskerl!«, flüstert er mir zu. Louis und ich stehen auf, um uns die Beine zu vertreten. Ich gehe davon aus, dass wir mehrere Stunden auf das Urteil warten müssen. Aber keine fünf Minuten später hören wir schon den Ruf »Präsentiert das Gewehr!«. Die Tür öffnet sich, die Richter kommen zurück, und der Gerichtsdiener verliest das Urteil. »Im Namen des französischen Volkes … befindet das Gericht einstimmig … dass der Angeklagte unschuldig

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