Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Intrige (German Edition)

Intrige (German Edition)

Titel: Intrige (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
Vom Netzwerk:
einer der größten Ungerechtigkeiten des Jahrhunderts.
    Ich klage General Billot an, den sicheren Beweis für Dreyfus’ Unschuld in Händen gehabt und zurückgehalten zu haben und sich so des Verbrechens an Menschlichkeit und Gerechtigkeit schuldig gemacht zu haben …
    Ich klage General Boisdeffre und General Gonse der Mittäterschaft bei dem gleichen Verbrechen an …
    Ich klage General Pellieux an, eine betrügerische Untersuchung durchgeführt zu haben …
    Ich klage die drei Handschriftenexperten an …
    Ich klage das Kriegsministerium an …
    Ich klage das erste Kriegsgericht an, gegen das Gesetz verstoßen zu haben, indem es den Angeklagten auf Grundlage von geheimen Beweismitteln verurteilt hat, und ich klage das zweite Kriegsgericht an, auf Befehl wissentlich einen schuldigen Mann freigesprochen zu haben …
    Indem ich diese Anklage vortrage, weiß ich sehr wohl, dass ich mich selbst wegen des Vergehens der üblen Nachrede angreifbar mache …
    Man wage es also, mich vor Gericht zu stellen und die Untersuchung bei hellem Tageslicht durchzuführen!
    Ich warte.
    In tiefer Hochachtung, Herr Präsident,
    Émile Zola
    Ich falte die Zeitung zusammen und steige in die Kutsche.
    »Irgendwas Interessantes?«, fragt der Oberst und gibt sich selbst die Antwort. »Wahrscheinlich nicht. Steht nie was Interessantes drin.« Er schlägt gegen das Dach der Kutsche: »Weiter!«

20
    Mont-Valérien ist eine riesige, karreeförmige Festung am westlichen Stadtrand und einer der Stützpunkte des Verteidigungsrings rund um Paris. Ich werde über eine Wendeltreppe in den dritten Stock eines Flügels geführt, der für Offiziere reserviert ist. Ich bin der einzige Häftling. Tag und Nacht hört man nur den Wind, der um die Festungsmauern weht. Meine Tür ist immer abgeschlossen, am Fuß der Treppe ist eine Wache postiert. Ich habe ein kleines Wohnzimmer, ein Schlafzimmer und eine Toilette. Durch die vergitterten Fenster bietet sich mir ein Panoramablick über die Seine und den Bois de Boulogne bis zum Eiffelturm, der acht Kilometer entfernt ist.
    Falls meine Feinde im Generalstab der Meinung sind, dass ich angesichts dieser Unterbringung Not leide, so irren sie sich. Ich habe ein Bett und einen Stuhl, Stift und Papier und jede Menge Bücher – Goethe, Heine, Ibsen. Proust schickt mir freundlicherweise seinen Erzählungsband Freuden und Tage, meine Schwester ein neues französisch-russisches Wör terbuch. Was kann ein Mann mehr verlangen? Ich bin inhaftiert, und ich bin befreit. Die einsame Bürde der Geheimhaltung, die ich in all den Monaten getragen habe, ist von mir genommen.
    Zwei Tage nach meiner Inhaftierung sieht sich die Regie rung genötigt, die Herausforderung, die Zola ihr aufgezwungen hat, anzunehmen, und verklagt ihn wegen Verleumdung. Die Sache wird nicht in irgendeinem von der Armee bewachten Knastraum geheim verhandelt werden, sondern öffentlich vor dem Schwurgericht im Justizpalast. Der Fall wurde an die Spitze der Warteliste gesetzt, sodass der Prozess zum frühestmöglichen Termin stattfinden kann. Der Festungskommandant hat mir jeden Besuch untersagt, außer solchen von aktiven Offizieren. Aber auch er kann nicht verhindern, dass ich mit meinem Anwalt spreche. Louis bringt mir die Vorladung. Ich muss am Freitag, dem 1 1 . Februar, aussagen.
    Ich studiere die Vorladung. »Was passiert, wenn Zola schuldig gesprochen wird?«
    Wir sitzen im Besucherraum: vergitterte Fenster, zwei ein fache Holzstühle, ein Holztisch. Vor der Tür steht ein Wachmann und stellt sich taub.
    »Er wandert für ein Jahr ins Gefängnis«, sagt Louis.
    »Mutig, was er getan hat.«
    »Verdammt mutig«, sagt Louis. »Allerdings wäre mir lieber gewesen, er hätte seinen Wagemut etwas gezügelt und ein klein wenig Umsicht walten lassen. Er hat sich hinreißen lassen und konnte sich diesen einen Satz am Ende über das Kriegsgerichtsverfahren gegen Esterházy einfach nicht verkneifen. ›Ich klage das zweite Kriegsgericht an, auf Befehl wissentlich einen schuldigen Mann freigesprochen zu haben‹ – wegen dieses Satzes hat es die Regierung auf ihn abgesehen.«
    »Nicht wegen der Anschuldigungen gegen Boisdeffre und die anderen?«
    »Nein, das können sie alles ignorieren. Ihre Absicht ist es, den Prozess auf dieses winzige Thema zu beschränken, bei dem sie sicher gewinnen können. Außerdem wird das Gericht alles, was mit Dreyfus zu tun hat, als unzulässig zurückweisen, es sei denn, es steht in unmittelbarem Zusammenhang mit dem

Weitere Kostenlose Bücher