Intrige (German Edition)
Seiten gestemmt da und schaut mich ernüchtert an. »Saubere Arbeit. Die haben nicht einen einzigen Schnipsel übrig gelassen. Sie sollten jetzt lieber gehen, Herr Oberstleutnant. Das ist das Letzte, was Sie jetzt brauchen können, dass man Sie in einem Zimmer mit einer Leiche schnappt – vor allem mit der da.«
»Und Sie?«
»Ich schließe die Tür wieder ab und lasse alles so zurück, wie wir es vorgefunden haben. Vielleicht warte ich draußen noch ein, zwei Stunden, ob irgendwer auftaucht.« Er schaut auf die Leiche. »Das geht als glasklarer Selbstmord durch. Dauert nicht lange, dann werden Sie in ganz Paris keinen Polizisten und keinen Gauner finden, der was anderes sagt. Armer Hund.« Er streicht sanft mit den Händen über das verzerrte Gesicht und schließt die starren Augen.
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Am nächsten Tag stehen zwei Obersten vor meiner Wohnung: Parès und Boissonnet, beide bekannte Sportler und alte Trinkkumpane von Henry. Sie teilen mir mit pompöser Geste mit, dass Oberstleutnant Henry ein Duell mit der Begründung ablehne, dass ich als unehrenhaft entlassener Offizier eine übel beleumdete Person sei, die keine Ehre zu verlieren habe. Folglich könne es keine Beleidigung gegeben haben.
Parès schaut mich mit kalter Verachtung an. »Oberstleutnant Henry schlägt vor, Monsieur Picquart, dass Sie sich stattdessen um Satisfaktion von Major Esterházy bemühen. Seines Wissens nach brennt Major Esterházy darauf, Sie zum Duell zu fordern.«
»Das glaube ich gern. Aber Sie können Oberstleutnant Henry – und auch Major Esterházy – ausrichten, dass ich nicht die Absicht habe, mich in die Gosse zu begeben, um mit einem Verräter und Betrüger die Klinge zu kreuzen. Oberstleutnant Henry hat mich öffentlich einen Lügner genannt, als ich noch aktiver Offizier war. Daraufhin habe ich ihn ge fordert, und deshalb verpflichtet ihn die Ehre, mir Satisfaktion zu gewähren. Wenn er mir diese verweigert, wird das die Welt zur Kenntnis nehmen und den offensichtlichen Schluss daraus ziehen, dass er nicht nur ein Ehrabschneider, sondern auch ein Feigling ist. Guten Tag, meine Herren.«
Erst nachdem ich die Tür geschlossen habe, fällt mir auf, dass ich zittere. Ob vor Aufregung oder vor Wut, kann ich nicht sagen.
Am Abend kommt Edmond mit der Neuigkeit vorbei, dass Henry sich schließlich doch dazu entschlossen habe, meine Herausforderung anzunehmen. Das Duell solle in zwei Tagen um halb elf in der Halle der Reitschule der École Militaire stattfinden. Die Waffen seien Säbel. »Henry wird automatisch ein Armeearzt zur Seite gestellt«, sagt Edmond. »Wir müssen ebenfalls einen Arzt benennen, der uns begleitet. Hast du jemand an der Hand?«
»Nein.«
»Dann kümmere ich mich darum. Pack jetzt ein paar Sachen zusammen.«
»Warum?«
»Weil meine Kutsche vor der Tür steht und du mit zu mir nach Hause kommst, damit du ein bisschen Fechten üben kannst. Ich will nicht miterleben müssen, wie man dich umbringt.«
Ich überlege, ob ich ihm von Lemercier-Picard erzählen soll, entscheide mich aber dagegen. Er ist auch so schon nervös genug.
Den Freitag verbringen wir in Edmonds Scheune, wo er stundenlang die Schrittfolgen mit mir durchgeht und mir wieder die Grundregeln einbleut: zusammengesetzter Angriff und Kreisparade, Riposte und Remise. Am nächsten Morgen machen wir uns um kurz nach neun auf den Weg von Ville-d’Avray nach Paris. Jeanne küsst mir das ganze Gesicht ab, als rechnete sie nicht damit, mich noch einmal wiederzusehen. »Auf Wiedersehen, mein liebster Georges! Ich wede dich nie vergessen. Leb wohl!«
»Meine liebe Jeanne, das gibt meiner Moral nicht gerade den nötigen Auftrieb …«
Eine Stunde später biegen wir in die Avenue de Lowendal ein und sehen mehrere Hundert Menschen, die sich vor dem Eingang der Reitschule versammelt haben. Viele der Wartenden sind Kadetten der École Militaire – junge Männer, wie ich sie früher unterrichtet habe, die jetzt aber höhnisch johlen, als ich in Zivilkleidung aus der Kutsche steige. Ein Kordon aus Soldaten bewacht den Eingang. Edmond klopft an das Eingangstor, ein Riegel wird zurückgeschoben, und wir betreten die vertraute, in graues Licht getauchte Halle. Es ist kühl und stinkt nach Pferdeäpfeln, Ammoniak und Stroh. Vögel, die sich ins Innere verirrt haben, schlagen mit den Flügeln gegen die Oberlichter. In der Mitte der riesigen Reithalle hat man einen provisorischen Tisch – eine Platte auf Holzböcken – aufgestellt, an dem die massige Gestalt
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