Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Intrige (German Edition)

Intrige (German Edition)

Titel: Intrige (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
Vom Netzwerk:
bist nicht für die Ehe geschaffen, Georges. Und jetzt nach meiner Schei dung weiß ich, dass ich es auch nicht bin.« Sie küsst meine Hand. »Verstehst du? Von dir habe ich gelernt, wie man allein lebt. Ich danke dir.«
    Ich weiß nicht, wie ich reagieren soll.
    »Wenn du es so willst …«
    »O ja, ich bin vollkommen zufrieden, so wie es ist.«
    Und so wird mir etwas abgeschlagen, was ich eigentlich nie wollte. Warum habe ich trotzdem das dunkle Gefühl, beraubt worden zu sein? Schweigend liegen wir nebeneinander. »Was wirst du jetzt machen?«
    »Wieder zu Kräften kommen, hoffe ich. Bilder anschauen. Musik hören.«
    »Und dann?«
    »Ich will die Armee zwingen, mich wieder aufzunehmen.«
    »Obwohl sie so mit dir umgesprungen ist?«
    »Wenn ich es nicht versuche, heißt das, dass sie damit durchkommen. Warum sollte ich das zulassen?«
    »Jeder muss also bezahlen.«
    »Natürlich. Wenn Dreyfus auf freien Fuß kommt, folgt daraus, dass die gesamte Führung der Armee verrottet ist. Sollte mich nicht wundern, wenn es noch ein paar Verhaftungen geben wird. Das ist der Anfang eines Krieges, der noch ziemlich lange andauern kann. Warum? Glaubst du, das ist falsch?«
    »Nein, aber ich glaube, du läufst Gefahr, ein Besessener zu werden.«
    »Wenn ich kein Besessener wäre, dann wäre Dreyfus noch immer auf der Teufelsinsel.«
    Sie schaut mich an. Ihr Gesichtsausdruck ist unergründlich. »Bläst du bitte die Kerze aus, Liebling. Ich bin plötzlich todmüde.«
    Wir liegen im Dunkeln wach. Ich stelle mich schlafend. Nach ein paar Minuten steht sie auf, und ich höre, wie sie ihren Morgenrock überzieht. Die Tür öffnet sich, im matten Licht des Flurs sehe ich für einen Augenblick ihre Umrisse, dann ist sie verschwunden. Wie ich hat sie sich daran gewöhnt, allein zu schlafen.
    •
    Bei unruhiger See erreicht Dreyfus’ Schiff mitten in der Nacht die Küste der Bretagne. Man hält es für zu gefährlich, ihn nach Paris zu bringen. Stattdessen wird er im Schutz der Dunkelheit in die bretonische Stadt Rennes überführt. Dort, so hat die Regierung entschieden, soll die Neuauflage sei nes Militärgerichtsprozesses stattfinden, sichere dreihundert Kilometer westlich von Paris. Der Prozessbeginn ist für Mon tag, 7 . August, angesetzt.
    Für den Fall, dass ich Schutz brauche, besteht Edmond darauf, mich nach Rennes zu begleiten, obwohl ich ihm versichere, dass das nicht nötig sei. »Die Regierung hat versprochen, mir eine Leibwache zur Seite zu stellen.«
    »Noch ein Grund, jemand um dich zu haben, dem du vertrauen kannst.«
    Ich lasse ihm seinen Willen. Die Atmosphäre ist hässlich und gewalttätig. Auf der Rennbahn ist ein antisemitischer Aristokrat mit einem Spazierstock auf den Präsidenten losgegangen. Bilder von Zola und Dreyfus werden verbrannt. La Libre Parole ermuntert ihre Leser mit verbilligten Bahnkarten, nach Rennes zu fahren und ein paar Dreyfusarden den Kopf einzuschlagen. Als Edmond und ich uns am Samstagmorgen auf den Weg zum Bahnhof von Versailles machen, haben wir Revolver im Gepäck. Ich komme mir vor, als stieße ich in Feindesland vor.
    In Versailles nimmt uns eine vierköpfige Leibwache in Empfang: zwei Polizeikommissare und zwei Gendarmen. Der aus Paris kommende Zug rollt kurz nach acht in den Bahnhof ein und ist restlos mit Journalisten und Zuschauern überfüllt, die den Prozess beobachten wollen. Die Polizei hat uns das hinterste Abteil der ersten Klasse reserviert. Unsere Leibwächter bestehen darauf, zwischen uns und der Tür zu sitzen. Ich komme mir wieder wie ein Gefangener vor. Die Leute gaffen durch die gläserne Trennwand. Es ist drückend heiß. Plötzlich ein Blitzlicht. Ich erstarre. Edmond tätschelt mir beruhigend die Hand. »Ruhig, Georges«, sagt er leise.
    Die Fahrt zieht sich ewig hin. Es ist später Nachmittag, als wir schließlich in Rennes ankommen, einer Stadt mit siebzigtausend Einwohnern, aber anscheinend ohne Vororte. In der einen Minute sieht man noch Wald und Flussauen und einen von einem Pferd gezogenen Lastkahn auf einem breiten Fluss und plötzlich nur noch Fabrikschlote und vornehme graue und gelbe Steinhäuser mit blauen Schieferdächern, die in der Hitze flirren. Die beiden Kommissare springen auf den Perron und schauen sich um, erst dann dürfen Edmond und ich mit den beiden Gendarmen an den Fersen den Zug verlassen. Wir werden hastig durch den Bahnhof zu zwei wartenden Automobilen geführt. Undeutlich nehme ich die plötzliche Aufregung wahr, als die Menschen in der

Weitere Kostenlose Bücher