Intrige (German Edition)
Zeit, sich daran zu gewöhnen, das stimmt.«
»Wie lange bist du in der Stadt?«
»Nur für ein paar Stunden. Mit dem Abendzug fahre ich wieder nach Paris.«
»Das verlangt nach einem kräftigen Schluck.« Er öffnet eine Schreibtischschublade und nimmt eine Flasche Kognak und zwei Gläser heraus. Er füllt sie bis zum Rand. Wir stoßen auf die Armee an. Er schenkt nach, und wir stoßen auf meine Beförderung an. Trotzdem spüre ich, dass sich tief verborgen unter seinen Glückwünschen eine Kluft zwischen uns auftut. So haarfein, dass niemand, der jetzt das Zimmer betreten würde, sie bemerken könnte. Curé schenkt die dritte Runde ein. Wir knöpfen die Uniformröcke auf, lehnen uns auf den Stühlen zurück, legen die Füße auf den Schreibtisch und rauchen. Wir reden über alte Kameraden und alte Zeiten. »Was genau tust du jetzt in Paris?«, fragt er in eine kurze Pause hinein.
Ich zögere. Eigentlich dürfte ich nicht darüber sprechen.
»Ich habe Sandherrs Posten übernommen. Ich leite den Geheimdienst.«
»Wirklich? Mein Gott!« Er runzelt die Stirn und schaut in sein leeres Glas. Diesmal verzichtet er auf einen Toast. »Dann bist du also hier, um herumzuschnüffeln?«
»So ähnlich, ja.«
Seine Fröhlichkeit flackert wieder auf. »Hoffentlich nicht bei mir!«
»Heute nicht.« Ich lächele und stelle mein Glas ab. »Ihr habt hier einen Major Esterházy.«
Curé schaut mich an. Sein Gesichtsausdruck ist undurchdringlich. »Ja, das stimmt.«
»Wie ist er so?«
»Was hat er getan?«
»Das kann ich dir nicht sagen.«
Curé nickt langsam. »Dachte ich mir.« Er steht auf und fängt an, den Uniformrock wieder zuzuknöpfen. »Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber ich muss jetzt erst mal einen klaren Kopf bekommen.«
Vom Meer weht eine scharfe Brise landeinwärts. Wir spazieren um den Exerzierplatz herum. »Ich verstehe, dass du mir nicht verraten kannst, worum es geht«, sagt Curé nach einer Weile. »Aber wenn ich dir einen guten Rat geben darf: Sei vorsichtig, wenn du Esterházy auf die Pelle rückst. Er ist gefährlich.«
»Wie meinst du das, physisch gefährlich?«
»In jeder Hinsicht. Was weißt du über ihn?«
»Nichts. Du bist der Erste, den ich frage.«
»Denk auf jeden Fall immer daran, dass er gute Beziehungen hat. Sein Vater war General. Er nennt sich selbst Graf Esterházy, aber das ist, glaube ich, nur seiner Blasiertheit geschuldet. Wie auch immer, seine Frau ist die Tochter des Marquis de Nettancourt, er kennt also jede Menge Leute.«
»Wie alt ist er?«
»Schätze, knapp fünfzig.«
»Fünfzig?« Ich lasse meinen Blick über das Kasernengelände schweifen. Es ist später Nachmittag. Soldaten mit käsigem Gesicht und grauem, geschorenem Kopf lehnen sich rauchend aus den Fenstern ihrer Schlafquartiere. Sie sehen aus wie Sträflinge.
Curé folgt meinem Blick. »Ich weiß, was dir gerade durch den Kopf geht«, sagt er.
»Und was?«
»Er ist fünfzig, er ist der Schwiegersohn eines Marquis, und trotzdem sitzt er in diesem Drecksloch fest. Warum? Das würde jedenfalls ich mich als Erstes fragen!«
»Also gut, wenn du es schon aufbringst: Warum ist er hier?«
»Weil er kein Geld hat.«
»Mit all seinen Beziehungen?«
»Er verzockt alles. Nicht nur am Spieltisch. Auch auf der Rennbahn und an der Börse.«
»Aber seine Frau muss doch über etwas Kapital verfügen.«
»Ja, aber sie ist ihm draufgekommen. Ich habe ihn mal jammern hören, dass sie sogar das Landhaus auf ihren Namen hat überschreiben lassen, damit sie vor seinen Gläubigern sicher ist. Keinen Sou bekommt er von ihr.«
»Aber er hat eine Wohnung in Paris.«
»Du kannst dir sicher sein, dass die auch ihr gehört.«
Während ich all das verdaue, gehen wir schweigend weiter. Mir fällt Schwartzkoppens Brief ein. Da drehte sich alles um Geld: … Ihre Bedingungen mir zu hart erscheinen …
»Also, erzähl mal«, sage ich. »Wie ist er als Offizier?«
»Das Letzte!«
»Vernachlässigt er seine Pflichten?«
»Ja, in jeder Hinsicht! Der Oberst überträgt ihm keine Aufgaben mehr.«
»Dann ist er gar nicht hier?«
»Im Gegenteil, er ist immer hier.«
»Und was macht er?«
»Anderen im Weg rumstehen! Er lungert herum und stellt jede Menge bescheuerte Fragen über Sachen, die ihn nichts angehen.«
»Fragen worüber?«
»Über alles.«
»Die Bewaffnung, zum Beispiel?«
»O ja.«
»Was will er über die Bewaffnung alles wissen?«
»Frag lieber, was er nicht wissen will! Er hat mindestens schon an drei
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