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Intrige (German Edition)

Intrige (German Edition)

Titel: Intrige (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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Ich blase das Streichholz aus und gehe weg.
    »Jetzt stell dich nicht so an, Herzchen!«, ruft sie lachend hinter mir her.
    Eine andere Frau mischt sich ein. »Wer war das denn?«
    Und dann schreit ein betrunkener Mann: »Irgend so ein eingebildeter Arsch!«
    Ein paar Soldaten drehen sich um und schauen in meine Richtung.
    Curé erscheint in der Tür. Er nickt und macht mir ein Zeichen. Ich gehe zu ihm. »Ich glaube, es ist besser, ich verschwinde wieder«, sage ich.
    »Du brauchst bloß kurz reinzuschauen, dann kannst du ja wieder gehen.« Er nimmt meinen Arm und schiebt mich vor sich her durch einen kurzen Gang, dann ein paar Stufen hinunter und durch einen schweren, schwarzen Samtvorhang in einen lang gestreckten Raum, in dem der Tabakqualm wie Nebel über den voll besetzten kleinen runden Tischen hängt. Vor der gegenüberliegenden Wand spielt eine Kapelle, und auf der Bühne werfen ein halbes Dutzend Mädchen in Kor setts und schrittfreien Höschen vor ihrer Kundschaft gelang weilt die Röckchen und Beine in die Luft. Die Füße stampfen auf die nackten Holzdielen. Der Laden riecht nach Absinth.
    »Das ist er«, flüstert Curé.
    Er nickt zu einem keine zwanzig Schritt entfernten Tisch, wo zwei Paare vor einer Flasche Champagner sitzen. Eine der Frauen, eine Rothaarige, hat mir den Rücken zugewandt, die andere, eine Brünette, hat sich auf ihrem Stuhl herumgedreht und schaut zur Bühne. Die Männer sitzen sich gegenüber und unterhalten sich ungezwungen. Curé braucht mir gar nicht zu sagen, wer das Objekt meiner Neugier ist. Major Esterházy sitzt weit zurückgelehnt auf seinem Stuhl, den er ein gutes Stück vom Tisch weggeschoben hat. Der Uniformrock ist aufgeknöpft, das Becken nach vorn geschoben, die Arme hängen links und rechts fast bis auf den Boden hinunter, in der rechten Hand hält er lässig schief, als ob es keiner Beachtung wert wäre, ein Glas Champagner. Aus dem Profil seines flachen Gesichts ragt eine Nase, die spitz zuläuft und wie der Schnabel eines Geiers aussieht. Die Augen liegen tief in ihren Höhlen. Er trägt einen großen, nach hinten gezwirbelten Schnauzbart. Dem Aussehen nach ist er betrunken. Sein Kompagnon sieht uns an der Tür stehen und in ihre Richtung schauen. Er sagt etwas zu Esterházy, der langsam den Kopf zu uns umdreht. Seine Augen sind rund und vorstehend. Sie sehen nicht natürlich aus, sondern wahnsinnig, wie Glaskugeln, die man in den Schädel eines Skeletts in einer medizinischen Fakultät gedrückt hat. Wie Curé mich schon vorgewarnt hat, ist die Wirkung verstörend. Mein Gott, denke ich, der könnte den ganzen Laden mitsamt allen Leuten abfackeln und würde sich einen Scheißdreck darum scheren. Sein Blick ver weilt kurz bei uns, und für eine Sekunde entdecke ich in den sich verengenden Augen in dem zur Seite geneigten Kopf eine Spur von Neugier. Glücklicherweise ist er vom Alkohol so benebelt, dass er sich sofort ablenken lässt, als eine der beiden Frauen etwas zu ihm sagt.
    Curé berührt meinen Ellbogen. »Besser, wir gehen jetzt.« Er zieht den Vorhang zur Seite und führt mich wieder nach draußen.

7
    Kurz vor Mittag des nächsten Tages, eines Samstags, komme ich wieder in Paris an und beschließe, nicht mehr ins Büro zu gehen. Ich kehre also erst am Montag, vier Tage nach meiner letzten Unterredung mit Lauth, wieder in die Statistik-Abteilung zurück. Schon auf der Treppe höre ich Major Henrys Stimme. Als ich im ersten Stock ankomme, sehe ich ihn aus Lauths Zimmer treten. Er trägt eine Trauerbinde am Arm.
    »Herr Oberstleutnant Picquart«, sagt er, kommt auf mich zu und salutiert. »Ich melde mich zum Dienst zurück.«
    »Schön, dass Sie wieder bei uns sind, Herr Major«, sage ich und erwidere seinen Gruß. »Obwohl mir natürlich die Umstände sehr leidtun. Ich hoffe sehr, dass Ihre Mutter friedlich dahingeschieden ist.«
    »Es gibt nicht viele Möglichkeiten, leicht aus dem Leben zu scheiden, Herr Oberstleutnant. Um ehrlich zu sein, am Schluss habe ich für ein schnelles Ende gebetet. Jedenfalls werde ich ab jetzt darauf achten, dass mein Dienstrevolver immer in Reichweite ist. Wenn meine Zeit kommt, möchte ich ein schnelles Ende machen können.«
    »Das ist auch meine Absicht.«
    »Bleibt nur das Problem, ob man dann noch die Kraft hat abzudrücken.«
    »Nun ja, ich glaube, es werden sich genügend Leute finden, die das gern erledigen.«
    Henry lacht. »Schätze, da haben Sie recht, Herr Oberstleutnant!«
    Ich schließe die Tür auf und bitte ihn

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