Intrige (German Edition)
Artilleriemanövern teilgenommen. Beim letzten Mal hat der Oberst sich strikt geweigert, ihn dazu abzu ordnen, also hat er die Kosten selbst getragen, um mitfahren zu können.«
»Ich dachte, er hat kein Geld.«
»Das stimmt, hat er auch nicht.« Curé bleibt abrupt stehen. »Jetzt, wo du es sagst, ich habe zufällig gehört, dass er sogar einen Korporal in seinem Bataillon dafür bezahlt hat, von der Schießvorschrift Kopien anzufertigen – es ist uns verboten, sie länger als ein, zwei Tage zu behalten.«
»Hat er einen Grund dafür genannt?«
»Er hat gesagt, dass er vielleicht ein paar Verbesserungsvorschläge hat …«
Wir gehen weiter. Die Sonne ist hinter einer der Schlafbaracken untergegangen. Der Exerzierplatz liegt jetzt im Schatten, und die Luft ist plötzlich kühl geworden. »Du hast vorhin gesagt, dass er gefährlich ist«, sage ich.
»Ja. Das ist schwer zu erklären. Er hat so eine … Wildheit an sich, und er ist durchtrieben. Aber er kann auch sehr einnehmend sein. Sagen wir so: Trotz seines Verhaltens möchte ihm keiner in die Quere kommen. Außerdem ist sein Auftreten ziemlich ungewöhnlich. Aber um zu verstehen, was ich damit meine, musst du ihn selbst sehen.«
»Das würde ich gern. Das Problem ist, dass ich nicht riskieren kann, von ihm gesehen zu werden. Gibt es einen Ort, wo ich einen Blick auf ihn werfen kann, ohne dass er es merkt?«
»Da gibt’s eine Bar gleich hier in der Nähe, wo er abends meistens hingeht. Natürlich nicht immer, aber da erwischst du ihn am besten.«
»Kannst du mit mir da hingehen?«
»Ich dachte, du nimmst den Abendzug.«
»Dann bleibe ich eben bis morgen. Auf eine Nacht kommt’s auch nicht an. Also, was ist, mein Freund? Wie in den alten Zeiten!«
Aber Curé scheint von dem Gerede über die alten Zeiten genug zu haben. Er wirft mir einen strengen, abschätzenden Blick zu. »Jetzt bin ich mir sicher, dass die Sache ernst ist, Georges. Wenn du eine Nacht in Paris dafür sausen lässt.«
•
Curé will mich überreden, die Zeit bis zum Abend mit ihm zusammen in seiner Unterkunft zu verbringen, aber ich ziehe es vor, dem Kasernengelände fernzubleiben, um nicht erkannt zu werden. Ich erinnere mich an ein kleines Hotel für Handelsreisende, das ich bei meiner Ankunft in der Nähe des Bahnhofs gesehen habe. Dorthin gehe ich und nehme mir ein Zimmer. Es handelt sich um ein muffig riechendes, schmuddeliges Kabuff ohne elektrisches Licht. Die Matratze ist hart und dünn, und immer wenn ein Zug vorbeifährt, zittern die Wände. Aber für eine Nacht wird es reichen. Ich strecke mich auf dem Bett aus. Es ist so kurz, dass meine Beine über den Rand hinausragen. Ich rauche und denke über den geheimnisvollen Esterházy nach, einen Mann, der offenbar genau das im Übermaß hat, was Dreyfus eigenartigerweise fehlte: ein Motiv.
Der Tag geht zur Neige. Um sieben Uhr fangen die Glocken der Kathedrale von Rouen an zu läuten. Bleiern und laut wie Trommelfeuer wälzt sich das Dröhnen über den Fluss, und als es wieder aufhört, scheint die plötzliche Stille wie Qualm in der Luft zu hängen.
Als ich mich aufraffe und die Treppe hinuntergehe, ist es dunkel. Curé wartet schon auf mich. Er rät mir, die Rangabzeichen auf den Schultern unter meinem Umhang zu verbergen.
Wir gehen an die zehn Minuten durch Seitenstraßen mit geschlossenen Fensterläden und ein paar ruhigen Bars, bis wir schließlich in eine Sackgasse voller schattenhafter Gestalten einbiegen, hauptsächlich Soldaten und einige junge Frauen, die sich leise unterhaltend und lachend vor einem langen, niedrigen, fensterlosen Gebäude herumdrücken, das wie ein umgebautes Lagerhaus aussieht. Ein gemaltes Schild verkündet: Folies Bergère. Die Hoffnungslosigkeit dieser provinziellen Verheißung ist fast anrührend.
»Warte hier«, sagte Curé. »Ich schaue nach, ob er schon da ist.«
Er geht zur Tür, die sich kurz öffnet. In dem länglichen, leicht violett glänzenden Lichtstreifen wird Curés Silhouette sichtbar. Ich höre Lärm und Musik, dann verschwindet er im Dunkeln. Eine Frau mit einem riesigen Ausschnitt, weiß wie Gänsehaut in der Kälte, kommt mit einer unangezündeten Zigarette auf mich zu und bittet um Feuer. Ohne weiter nachzudenken, reiße ich ein Streichholz an. Im Licht der gelb aufflackernden Flamme sehe ich, dass sie jung und hübsch ist. Sie mustert mich kurzsichtig. »Kennen wir uns, Schätzchen?«
Ich merke, dass ich einen Fehler gemacht habe. »Pardon, aber ich warte auf jemand.«
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