Intrige (German Edition)
dass wir ins Museum gehen, wenn Sie einverstanden sind. Dort fällt es nicht so auf, wenn ich mir Notizen mache.«
»Wie Sie meinen. Das ist Ihr Metier.«
»Ganz recht, Herr Oberstleutnant. Überlassen Sie das Leuten wie mir.«
Er hat die durchgedrückten Schultern und den wiegenden Gang des Sportsmanns. Ich folge ihm zum nächstgelegenen Pavillon. Es ist früh am Tag und deshalb noch nicht so voll. Im Vorraum befinden sich neben dem Eingang eine Garderobe, geradeaus eine Treppe, links und rechts Galerien. Als Desvernine sich nach links wendet, erhebe ich Einspruch. »Müssen wir dahin? Dort gibt es nur den übelsten Schrott zu sehen.«
»Wirklich? Für mich sieht das alles gleich aus.«
»Sie kümmern sich um die Polizeiarbeit, Desvernine, die Kultur überlassen Sie mir.«
Ich kaufe einen Museumsführer, dann gehen wir in die Ausstellungsräume des Denon-Flügels, wo es wie in einem Klassenzimmer riecht. Wir stehen vor einer Bronzefigur von Commodus als Herkules – eine Renaissance-Kopie aus dem Vatikan. Die Säle sind fast leer.
»Das muss unter uns bleiben, verstanden?«, sage ich. »Wenn Ihre Vorgesetzten herausbekommen, was Sie tun, dann verweisen Sie sie an mich.«
»Verstehe.« Desvernine zückt Notizblock und Stift.
»Ich möchte alles über einen Major der Armee namens Charles Ferdinand Walsin-Esterházy erfahren.« Obwohl ich flüstere, hallt meine Stimme nach. »Manchmal nennt er sich Graf Esterházy. Er ist achtundvierzig Jahre alt und dient beim 74 . Infanterieregiment in Rouen. Er ist mit der Tochter des Marquis de Nettancourt verheiratet. Er spielt, spekuliert an der Börse, führt ganz allgemein ein ausschweifendes Leben. Sie wissen besser als ich, wo man sich nach einer solchen Figur umschauen muss.«
Desvernine errötet leicht. »Bis wann brauchen Sie das?«
»So schnell wie möglich. Könnten Sie mir bis nächste Woche einen vorläufigen Bericht liefern?«
»Ich werde es versuchen.«
»Noch etwas: Ich würde gern wissen, wie oft Esterházy die deutsche Botschaft besucht.«
Falls Desvernine diesen Wunsch überraschend findet, so ist er zu sehr Profi, sich etwas anmerken zu lassen. Wir geben bestimmt ein seltsames Paar ab: ich im Gehrock mit Melone, den Museumsführer in der Hand und große Reden schwingend, er im schäbigen, braunen Anzug und fleißig mitschreibend. Aber niemand schaut in unsere Richtung. Wir gehen zum nächsten Ausstellungsstück. Der Führer verzeichnet es als Der Dornauszieher .
»Das nächste Mal sollten wir uns an einem anderen Ort treffen, zur Sicherheit«, sagt Desvernine.
Mir fällt meine Zugfahrt nach Rouen ein. »Wie wär’s mit dem Restaurant im Gare Saint-Lazare?«, schlage ich vor. »Liegt in Ihrem Revier.«
»Ja, das kenne ich gut.«
»Nächsten Donnerstagabend, um sieben?«
»Einverstanden.« Er schreibt es auf, steckt dann sein Notizbuch in die Tasche und schaut die Statue an. Er kratzt sich am Kopf. »Und Sie glauben wirklich, dass dieses Ding da gut ist, Herr Oberstleutnant?«
»Nein, das habe ich nicht gesagt. Wie so oft im Leben ist es nur besser als die Alternative.«
•
Nicht meine ganze Zeit gehört den Nachforschungen über Esterházy. Ich habe mich auch noch um andere Dinge zu kümmern – nicht zuletzt um das verräterische Treiben von Brieftauben.
Gribelin bringt mir die Akte. Man hat sie von der Rue Saint-Dominique herübergeschickt. Als er sie mir überreicht, entdecke ich doch noch einen matten Glanz boshaften Vergnügens in seinen blassen Augen. Anscheinend haben Taubenliebhaber in England die Angewohnheit, mit ihren Vögeln nach Cherbourg zu fahren und sie von dort zurück über den Kanal fliegen zu lassen. Um die neuntausend werden jedes Jahr auf die Reise geschickt: ein harmloser, wenn auch unerfreulicher Zeitvertreib, den Oberst Sandherr im Endstadium seiner Krankheit als eine mögliche Bedrohung der nationalen Sicherheit zu verbieten für angezeigt hielt. Was, wenn man die Vögel für den Transport geheimer Botschaften einsetzte? Diese Ausgeburt des Irrsinns hat sich fast ein Jahr lang ihren Weg durch das Innenministerium gebahnt und schließlich Niederschlag in einer Gesetzesvorlage gefunden. Und jetzt besteht General Boisdeffre darauf, dass ich als Chef der Statistik-Abteilung die Meinung des Kriegsministeriums zu diesem Entwurf in Worte fasse.
Unnötig zu erwähnen, dass ich keine Meinung dazu habe. Nachdem Gribelin wieder gegangen ist, sitze ich an meinem Schreibtisch und gehe die Akte durch, was ungefähr so
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