Intrige (German Edition)
behauptet auch, dass Dreyfus niemals ein Spion der Deutschen war!) Aber so weit will ich mich im Moment noch nicht vorwagen. Ein Schritt nach dem anderen, Picquart!
»Wer ist die Quelle?«, fragt Henry.
»Richard Cuers. Erinnern Sie sich? Die Deutschen haben ihn vor ein paar Jahren hier bei uns eingesetzt. Er hat unter Hauptmann Dame in Berlin gearbeitet. Jetzt hat Dame ihn entlassen, wahrscheinlich weil er ihm nicht mehr traut, und da ist er zu uns gekommen.«
»Und wir? Vertrauen wir ihm?«
»Vertrauen wir irgendwem? Ich sehe allerdings keinen Grund, warum er lügen sollte. Zumindest sollten wir uns anhören, was er zu sagen hat.« Ich wende mich an Lauth. »Herr Haupt mann, ich möchte, dass Sie diese Befragung durchführen.«
»Selbstverständlich, Herr Oberstleutnant.« Lauth reagiert mit einer schnellen, teutonischen Verbeugung. Gut, dass er sitzt, denke ich, sonst würde er auch noch die Hacken zusammenschlagen.
»Warum mein guter Freund Lauth, wenn die Frage gestattet ist?«, sagt Henry.
»Weil er den Fall kennt, seit uns das Petit Bleu in die Hände gefallen ist, aber vor allem, weil er deutsch spricht.«
»Wenn Cuers hier gearbeitet hat, dann muss auch sein Französisch ganz anständig sein«, wendet Henry ein. »Warum nicht ich? Im Umgang mit solchen Schurken habe ich mehr Erfahrung.«
»Ja, aber ich glaube, dass er in seiner Muttersprache unbefangener sein wird. Sind Sie einverstanden, Lauth?« Lauths Deutsch ist perfekt, fast akzentfrei.
»Ja.« Er wirft Henry einen um Zustimmung heischenden Blick zu. »Ja, ich bin mir sicher, dass ich das schaffe.«
»Gut. Sie brauchen mindestens einen Mann zur Absicherung, vielleicht zwei, nur um sicherzustellen, dass Cuers allein kommt und das Ganze keine Falle ist. Ich schlage Louis Tomps vor. Er kennt Cuers aus seinen Pariser Tagen.« Wie Guénée und Desvernine ist Tomps ein Beamter der Sûreté, der für die Statistik-Abteilung arbeitet: ein fähiger, verlässlicher Bursche, der ebenfalls den Vorteil hat, gut deutsch zu sprechen. Ich habe ihn früher schon eingesetzt. »Die Einzelheiten des Einsatzes besprechen wir später. Danke, meine Herren.«
Lauth springt auf. »Danke, Herr Oberstleutnant.«
Henry bleibt noch kurz sitzen, schaut gedankenversun ken auf den Tisch, schiebt dann den Stuhl zurück und erhebt sich schwerfällig. Er zieht den Uniformrock über seinen prägnanten Bauch nach unten. »Ja, danke, Herr Oberstleut nant.« In seinen Augen schimmert etwas Wehmut. Ich spüre, dass er sich noch nicht damit abgefunden hat, von der Mission in Basel ausgeschlossen zu sein, dass ihm aber auch nichts einfällt, wie er mich umstimmen könnte. »Interessant«, sagt er noch einmal. »Sehr interessant. Allerdings würde ich Ihnen empfehlen, wenn Sie mir diese Bemerkung gestatten, General Gonse zu unterrichten. Das ist eine ernste Angelegenheit. Ein französischer Offizier trifft sich auf fremdem Boden mit einem deutschen Spion, um sich über einen Verräter in den eigenen Reihen zu unterhalten. Es wäre Ihnen gewiss unangenehm, wenn er es von anderer Seite erführe.«
•
Nachdem er gegangen ist, frage ich mich, ob das eine Drohung war. Wenn ja, dann habe ich im Schachspiel der Militärbürokratie den perfekten Gegenzug in petto. Ich gehe hinüber ins Ministerium, steige die Treppe hinauf zum Büro des Generalstabschefs und bitte um einen Termin bei General Boisdeffre.
Dame schlägt Läufer!
Leider teilt mir sein Ordonnanzoffizier mit, dass der General aus dem Burgund direkt nach Vichy gereist ist.
Ich schicke Boisdeffre ein Telegramm, in dem ich ihn dringend um eine Unterredung bitte.
Am nächsten Morgen – dem Dienstag – erhalte ich die gelangweilte Antwort. Mein lieber Herr Oberstleutnant, ist es denn wirklich so dringend? Ich befinde mich derzeit auf Kur und werde dann für meinen jährlichen Urlaub nach Hause in die Normandie reisen. Was gibt es denn so Eiliges?
Ich antworte vorsichtig, dass es sich um eine Angelegenheit handele, die der von 1 8 9 4 nicht unähnlich sei – womit ich natürlich die Dreyfus-Affäre meine.
Keine Stunde später erhalte ich die Antwort. Nun gut, wenn Sie darauf bestehen. Mein Zug kommt morgen, Mitt woch, 5. August, 1 8 Uhr 1 5, am Gare de Lyon an. Ich erwarte Sie. Boisdeffre.
•
Henry gibt allerdings nicht so schnell klein bei.
Am selben Tag, als das Telegramm eintrifft, in dem Boisdeffre mich zum Bahnhof zitiert, bitte ich Lauth und Tomps in mein Büro, um ein letztes Mal die Einzelheiten der Baselreise
Weitere Kostenlose Bücher