Intrige (German Edition)
Telegramm von Oberst Foucault aus Berlin. Cuers ist einverstanden, sich am Donnerstag, dem 6 . August, mit unseren Vertretern in Basel zu treffen.
Mein erster Gedanke ist, selbst zu fahren. Ich suche sogar schon im Kursbuch nach Verbindungen. Doch dann halte ich inne und bedenke die Risiken. Basel liegt unmittelbar an der Grenze zu Deutschland. Ich habe die Stadt auf dem Weg zu den Wagner-Festspielen in Bayreuth mehrere Male besucht. Die Bevölkerung spricht deutsch. Zwischen den verrammelten gotischen Fachwerkhäusern fühlt man sich genauso wie in jeder Stadt des Reichs. Ich werde von unfreundlichen Gesichtern umgeben sein. Außerdem muss ich davon ausgehen, dass ein Jahr nach meinem Amtsantritt die Identität des Sandherr-Nachfolgers in Berlin bekannt sein dürfte. Ich fürchte nicht um meine persönliche Sicherheit, aber ich darf mich nicht hinreißen lassen. Dafür steht zu viel auf dem Spiel. Wenn man mich erkennen würde, dann könnte das desaströse Folgen für das Treffen haben.
Also bitte ich am Montagmorgen, dem 3 . August, drei Tage vor dem festgesetzten Termin, Major Henry und Hauptmann Lauth in mein Büro. Wie üblich kommen sie zusammen. Ich sitze am Kopfende des Tischs, Henry sitzt links, Lauth rechts von mir. Vor mir liegt der Ordner Operation Wohltäter. Henry schaut ihn argwöhnisch an.
»Meine Herren«, sage ich und öffne den Ordner. »Ich denke, dies ist der geeignete Zeitpunkt, Sie über eine geheimdienstliche Operation zu informieren, die schon seit einigen Monaten vorangetrieben wird und nun endlich erste Früchte trägt.«
Schritt für Schritt setze ich ihnen die Operation auseinander. Ich beginne mit einer kurzen Zusammenfassung der Punkte, die ihnen schon bekannt sind. Ich lege das an Esterházy adressierte Petit Bleu vor und den Briefentwurf von Schwartzkoppen, in dem der sich darüber beklagt, dass er für sein Geld nichts aus dem Haus in R. erfahre. Ich rufe ihnen meinen Besuch in Rouen und meine Unterredung mit meinem Freund Major Curé in Erinnerung. »Danach habe ich die Ent scheidung getroffen, eine gründliche Untersuchung einzuleiten.« Ich lese Desvernines Berichte über Esterházy vor, über seine Schulden, seine Spielsucht, seine Vier-Finger-Mätresse und alles andere. Sie hören mir schweigend und mit wachsender Anspannung zu. Als ich auf die Wohnung gegenüber der deutschen Botschaft zu sprechen komme, wechseln sie einen kurzen, überraschten Blick. Und dann präsentiere ich ihnen mit der überschwänglichen Geste eines Zauberkünstlers die Fotografien von den beiden Besuchen Esterházys.
Henry setzt seine Brille auf und schaut sich die Fotos eine Zeit lang genau an. »Weiß General Gonse davon?«
»Über die Observation der Botschaft ist er unterrichtet, das ja.«
»Aber nicht über Esterházy im Besonderen?«
»Noch nicht. Ich wollte warten, bis wir genügend Beweismaterial für seine Verhaftung haben.«
»Verstehe.« Henry reicht das Foto an Lauth weiter und nimmt seine Brille ab. Er nuckelt an einem der Bügel wie ein Wissenschaftler, der die Untersuchungsergebnisse eines Kol legen begutachtet. »Das ist sehr interessant, Herr Oberst leutnant, obwohl wir natürlich noch nicht so weit sind. Keine Frage, das sind eindrucksvolle Indizien. Aber wenn Sie das Esterházy vorlegen, dann wird er einfach sagen, dass er einen Visumantrag abgegeben hat. Und wir können ihm nicht das Gegenteil beweisen.«
»Stimmt. Aber in den letzten Tagen hat sich eine bedeutsame neue Entwicklung ergeben, weshalb ich den Rahmen der Operation erweitern möchte.« Ich halte inne. Das ist der entscheidende Augenblick. Die nächsten Worte von mir werden alles verändern. Henry klopft sich mit der Brille gegen die Zähne und wartet. »Wir haben Informationen von einer Quelle direkt aus dem deutschen Militärgeheimdienst. Diese Quelle behauptet, dass die Deutschen seit Jahren einen Agenten in Frankreich haben. Dieser Agent ist im Majorsrang, ist zwischen vierzig und fünfzig Jahre alt und hat an dem Artilleriemanöver in Châlons teilgenommen.«
»Das muss Esterházy sein!«, sagt Lauth.
»Ich glaube, daran kann kaum noch ein Zweifel bestehen. Unsere Quelle bietet an, uns am kommenden Donnerstag in Basel zu treffen und alles zu erzählen, was er weiß.«
Henry stößt einen leisen, überraschten Pfiff aus. Zum ersten Mal erkenne ich in seinem Gesicht so etwas wie einen Anflug von Respekt. Das reizt mich, noch weiter zu gehen, alles zu erzählen. (Und wissen Sie was, möchte ich sagen. Er
Weitere Kostenlose Bücher