Intruder 1
erkundigte sich Stefan.
»Ich meine: Habe ich irgendetwas Wichtiges verpasst, als ich drinnen war?«
»Nein«, antwortete Mike knapp. Er ersparte es sich, Stefan von den Indianern zu erzählen. Es hätte wenig Sinn gehabt. Er hatte sie weder vorhin ankommen sehen noch heute Morgen im Hotel oder am vergangenen Tag. Auch das gehörte irgendwie zu dem perversen Spiel, das der Junge mit ihm spielte.
Perverses Spiel? Mein Gott, was dachte er da? Hatte er jetzt endgültig den Verstand verloren? Mike konnte sich nicht erklären, warum seine Fantasie derartige Purzelbäume mit ihm schlug.
»Irgendwie fällt es mir schwer, dir zu glauben«, sagte Stefan.
»Raus mit der Sprache: Was ist los?«
»Nichts«, betonte Mike noch einmal. »Sie haben irgendeine dumme Bemerkung gemacht, glaube ich.«
Stefans Blick machte deutlich, was er von dieser Antwort hielt. Aber er schien wohl auch begriffen zu haben, dass er keine andere bekommen würde, denn er beließ es bei einem leicht beleidigten Achselzucken.
Winnetou und seine Familie hatten den Van mittlerweile erreicht und stiegen ein. Der Junge starrte Mike noch immer an, selbst als sein Vater die Tür öffnete und ihn an die alte Frau übergab, die im Wagen gewartet hatte ... Warum kommst du nicht her, und wir regeln die Sache unter uns? Das hier geht nur dich und mich etwas an, das weißt du doch. Aber dazu bist du zu feige, nicht wahr? Schickst lieber deinen großen Freund.
Mike schloss die Augen und hoffte, dass Stefan seine Gedanken nicht einfach auf seinem Gesicht ablas. Die Stimme war nicht da! Es war nicht dieses seltsame Indianerkind, das er hörte. Wenn überhaupt, so war es eine Stimme in ihm, die er nur zu gut kannte. Aber er hatte gedacht, sie schon vor mehr als zwanzig Jahren endgültig zum Schweigen gebracht zu haben.
Sein großer Freund hatte den Van mittlerweile ebenfalls erreicht. Der Indianer hatte die Tür bereits geschlossen und fummelte irgendwo unter dem Lenkrad herum, vermutlich, um den Motor zu starten, aber er kam nicht dazu: Frank legte die linke Hand in das offene Fenster, langte mit der anderen nach dem Schloss und zog die Tür mit einem Ruck wieder auf. Nicht so schnell, um aus der Bewegung tatsächlich eine Provokation zu machen, aber eindeutig zu schnell, um sie nicht ein ganz klein wenig aggressiv wirken zu lassen.
»Was wird das denn, wenn's fertig ist?« Stefan klang überrascht, aber da lag noch mehr in seiner Stimme; etwas zwischen Verwirrung und einem Hauch von Furcht. Mike vermutete, dass es dem Indianer in diesem Moment kaum besser erging und dass er in diesem Moment deutlich mehr als nur einen Hauch von Furcht verspürte.
Genau das sollte er wohl auch. Frank war einer der friedfer-tigsten Menschen, die Mike kannte, aber er wusste auch sehr genau, wie er mit seinen einsneunzig und den gut zweihundert Pfund (den Rettungsring um seine Hüften nicht mitgerechnet) Eindruck machen konnte. Soweit Mike das beurteilen konnte, hatte Frank nie Hemmungen gehabt, diese Wirkung gezielt einzusetzen. Zusammen mit seiner meisterhaften Beherrschung der Körpersprache (die bei ihm ganz und gar nicht zufällig war) und der Aura von gelassener Kraft, die ihn umgab und die er nach Belieben ein- und ausschalten konnte wie der Kommandant eines Science-Fiction-Raumschiffes seine Deflektorschirme, konnte diese Wirkung verheerend sein.
»Das gefällt mir nicht«, sagte Stefan leise. »Vielleicht sollten wir hingehen und ...«
»Nein!«
Nicht nur Stefan, sondern auch Mike selbst erschrak über die Heftigkeit, mit der er dieses Wort ausstieß. Er schüttelte den Kopf, lächelte nervös und sagte noch einmal und gezwungen ruhig: »Nein. Das ist bestimmt nicht nötig. Er macht das schon.
Wenn wir uns einmischen, ist er höchstens beleidigt, glaub mir.«
Und außerdem ist es so sicherer, nicht wahr?, spöttelte die Stimme des Indianerjungen hinter seiner Stirn. Das ist es doch, was du wirklich meinst, habe ich Recht? Es könnte doch sein, dass die Sache außer Kontrolle gerät. Dass plötzlich doch ein Messer im Spiel ist oder eine Pistole. Dann ist es immer noch besser, wenn er den Kopf für dich hinhält. So wie immer andere den Kopf für dich hingehalten haben.
»Sei endlich ruhig, verdammt noch mal!«, stöhnte Mike.
Stefan blinzelte. »Was?«
»Nichts«, murmelte Mike. Seine Hände begannen zu zittern, und er hatte sie erst mehrere Sekunden später wieder unter Kontrolle. Dafür schlug nun sein Herz umso heftiger. Es tat jetzt ganz eindeutig weh. Sehr
Weitere Kostenlose Bücher