Invasion aus dem Jenseits (German Edition)
Großeltern, von mir selbst und einiger Onkels und Tanten. Die Bilder haben wir dann digital übereinander gelegt, verschmolzen und ein Durchschnittsgesicht geschaffen, wobei sich das Charakteristische unserer Erblinie so weit herauskristallisiert hat, dass über Jahrhunderte zurück praktisch jeder meiner Vorfahren sich in dem Gesicht wiederfindet, eingeschlossen mir selbst. Ein interessantes Experiment. Eine Idee von Herrn Müller übrigens.“
Maurice lächelte und wirkte dabei erstmals fast ein bisschen sympathisch.
„Jedenfalls, dieses Mischgesicht haben wir dann totenähnlich verfremdet mit dunklen Augenringen, starren Zügen, wächserner Haut und dergleichen mehr – wiederum idealtypisch, was Gespenster und sämtliche Erfahrungsberichte über ihr Erscheinungsbild betrifft.“
„Klingt interessant, aber wozu der ganze Aufwand?“, fragte Benno.
„Ganz einfach: Wir haben verschiedene Räume wie diesen im Schloss, und überall spukt ein anderer Dämon oder Geist. Wir haben einen kopflosen Ritter, eine tropfende Wasserleiche, einen verhungerten Kerkerhäftling mit klirrenden Ketten, eine gefolterte Hexe mit Spuren von Verbrennungen, und alle haben sie jeweils passend zu ihrer Rolle aufs schaurigste verfremdete Züge unseres idealisierten Familiengesichtes.“
„Und wieso haben Sie nicht jeweils einen Ahnen einer Rolle z ugeordnet ohne diesen Umstand über die Gesichtervermischung?“
„So groß war der Umstand gar nicht, Herr Müller ist ein Comp uter-Freak und macht so was als Hobby nebenbei. Aber um Ihre Frage zu beantworten: Unsere Gäste werden, wie Sie vorhin, durchs Portal und den langen Hauptflur an den Porträts meiner Ahnen vorbeigeführt, bevor die Show beginnt.“
„Entschuldigung, mit Show meinen Sie, dass jeder einzelne Bes ucher zum Schein erst mal nebenan ins Wartezimmer gesetzt wird?“
„Nein, das natürlich nicht, damit würden wir dem erwarteten Besucheransturm niemals Herr werden. Bei Ihnen war das nur, weil Ihr Besuch unvorbereitet kam. Im laufenden Betrieb kommen die Gäste gruppenweise direkt in die Spukräume, und es geht gleich los mit einer Dosis Infraschall.“
Benno nickte.
„Das erklärt die Diskrepanz zwischen dem Warteraum und diesem Verlies hier drüben.“
„Wie gesagt, das war nur in Ihrem Fall, aber es hat ja trotzdem funktioniert. Wie auch immer, egal welches Gespenst der jeweilige Besucher zu sehen bekommt, er wird immer irgendein Merkmal in dessen Erscheinung registrieren, das er von einem der Porträts kennt, und auf einen meiner Vorfahren schließen. Nicht jeder Besucher sieht und merkt sich jedes Porträt, aber unbewusst werden die Familien-Charakteristika abgespeichert. Die unbewusste oder bewusste Wiedererkennung ist ein wichtiges psychologisches Detail und verstärkt den Grusel-Effekt erheblich. Wir haben das ausprobiert, und die Annahme wurde dabei signifikant bestätigt.“
Benno lächelte und legte den Kopf schief.
„Ich muss sagen, die Ironie ihrer Vorgehensweise gefällt mir.“
„Was meinen Sie?“, fragte der Baron und lächelte zurück.
„Normalerweise zieht man wissenschaftliche Methoden heran, um dem Glauben an Gespenster den Nährboden zu entziehen. Sie tun genau das Gegenteil.“
„Ja und nein. In erster Linie ist das Ganze ein Geschäft. Wir bescheren den Leuten eine wo hlige Gänsehaut, aber niemand wird danach an Gespenster glauben, im Gegenteil: Jeder weiß ja, dass alles nur Show ist, und je echter diese Show, desto fragwürdiger die angeblich echten Spukphänomene.“
„Das glaube ich nicht. Wer sich nach einer Achterbahnfahrt auf dem Rummelplatz ins Auto setzt, weiß trotzdem noch, dass Ras erei in diesem Fahrzeug Folgen haben kann.“
„Entschuldigen Sie, aber das ist ein blöder Vergleich. Was wir hier oben geschaffen haben, ist so real wie die Realität an jedem Ort, der als Spukschloss verrufen ist. Die Idee, das Gr useln durch Infraschall auszulösen, haben wir ja nicht als Showeffekt erfunden. Infraschall ist im Gegenteil die stichhaltigste Erklärung für Spukphänomene überhaupt. So gesehen, sind unsere Gespenster hier originalgetreu und echt. Wir bieten nicht ein ähnliches, sondern genau das Erlebnis, das Leute hatten, die an anderen Orten Gespenster gesehen zu haben glauben. Nur mit den Hologrammen gehen wir noch einen Schritt darüber hinaus.“
Benno lächelte und schüttelte den Kopf.
„Was?“
„Sie sind so besessen davon, das Erlebnis so originalgetreu wie möglich zu machen, dass Sie völlig
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