Inversionen
sie nicht, daß man sie sähe, also versteckten sie sie an einem geheimen Ort, den sie in ihrem Haus eingerichtet hatten. Die arme Aurora weinte und weinte und weinte. Was ihre Eltern jedoch nicht wußten, war, daß die Leute vom Jahrmarkt stets einige ihrer Schausteller losschickten, um die Runde durch die Häuser der Stadt zu machen, um den Bewohnern kleine Gefälligkeiten zu erweisen oder beim Holzhacken zu helfen oder um den Hof aufzuräumen, damit die Leute sich ihnen verpflichtet fühlten und zum Jahrmarkt gingen. So machten sie es auch in Auroras Stadt, und ihre Eltern, die sehr geizig waren, ließen die Gelegenheit, ein paar Arbeiten unentgeltlich erledigen zu lassen, natürlich nicht ungenutzt verstreichen.
Sie baten die Schausteller in ihr Haus und ließen von ihnen alles putzen, obwohl es natürlich bereits ziemlich sauber war, weil Aurora den größten Teil der Arbeit erledigt hatte. Während sie das Haus putzten und sogar noch kleine Geschenke zurückließen, denn in diesem Fall waren es sehr nette und großzügige Schausteller – ein Clown, glaube ich, ein Feuerschlucker und ein Messerwerfer –, hörten sie die arme Aurora in ihrem geheimen Versteck weinen, und sie befreiten sie und erfreuten sie mit ihren Kunststücken und waren sehr nett zu ihr. Sie fühlte sich zum ersten Mal anerkannt und geliebt, und Freudentränen rannen ihr übers Gesicht. Ihre bösen Eltern verbargen sich im Keller, und später liefen sie davon, betroffen darüber, daß sie so grausam zu Aurora gewesen waren.
Die Schausteller vom Jahrmarkt gaben Aurora ihr Leben wieder. Sie kam sich sogar gar nicht mehr so häßlich vor und war in der Lage, sich besser zu kleiden, als es ihr ihre Eltern jemals ermöglicht hatten, und sie fühlte sich sauber und wohl. Vielleicht, so dachte sie, war es ihr doch nicht bestimmt, ihr ganzes Leben lagen häßlich und unglücklich zu sein, wie sie es sich vorgestellt hatte. Vielleicht war sie hübsch, und ihr Leben würde voller Glück sein. Allein schon durch das Zusammensein mit den Schaustellern fühlte sie sich hübsch, und allmählich wurde ihr klar, daß diese sie schön gemacht hatten, daß sie nur deshalb häßlich gewesen war, weil die Leute ihr das eingeredet hatten, und jetzt war sie es nicht mehr. Es war wie Zauberei.
Aurora beschloß, daß sie sich dem Jahrmarkt anschließen und mit den Schaustellern weiterziehen wollte, aber sie erklärten ihr traurig, daß sie das nicht zulassen könnten, denn sonst würden die Leute vielleicht denken, sie seien die Sorte von Menschen, die kleine Mädchen aus ihren Familien entführten, und ihr guter Name würde leiden. Sie sagten ihr, daß sie bleiben und ihre Eltern suchen müsse. Sie verstand den Sinn dessen, was sie ihr sagten, und weil sie sich stark und fähig und lebendig und schön fühlte, war sie in der Lage, den Jahrmarktsleuten zum Abschied zuzuwinken, als all die netten Schausteller weiterreisten, um ihr Glück und ihre Freundlichkeiten in eine andere Stadt zu bringen. Und wißt Ihr was?«
»Was?«
»Sie fand ihre Eltern, und sie waren von nun an lieb und gut zu ihr. Sie fand auch einen gutaussehenden jungen Burschen und heiratete ihn und bekam viele Kinder, und sie lebten fürderhin glücklich und zufrieden. Und nicht nur das, eines Tages traf sie die Jahrmarktsleute wieder, und diesmal konnte sie sich ihnen anschließen, um eine von ihnen zu werden und sich einen Weg auszudenken, um die frühere Freundlichkeit der Schausteller zu vergelten.
Und das ist die Geschichte von Aurora, einem häßlichen, unglücklichen Kind, das schön und glücklich wurde.«
»Hmm. Das ist eine ziemlich gute Geschichte. Ich möchte wissen, ob Herr DeWar noch mehr Geschichten über Felizien weiß. Sie sind etwas eigenartig, aber ich glaube, er meint es gut. Ich glaube, ich sollte jetzt schlafen. Ich… oh!«
»Ach, es tut mir leid.«
»Was war das? Wasser? Auf meiner Hand…«
»Nur eine Freudenträne. Es ist eine so glückliche Geschichte. Sie bringt mich zum Weinen. Oh, was macht Ihr…?«
»Ja, schmeckt nach Salz.«
»Ach, Ihr seid ein Charmeur, junger Herr Lattens, da Ihr die Tränen einer Dame aufleckt! Laßt meine Hand los. Ich muß… So ist es besser. Schlaft jetzt. Euer Vater wird bald hier sein, davon bin ich überzeugt. Ich schicke das Kindermädchen herein, damit sie prüft, ob ihr auch ordentlich zugedeckt seid. Oh, braucht Ihr das hier? Nehmt Ihr das als Schnuller?«
»Ja. Danke, Perrund. Gute Nacht.«
»Gute Nacht.«
Die
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