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Inversionen

Inversionen

Titel: Inversionen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
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von der überreichen Flamme ihres Willens, wegzugehen.
    Sie ergriff meine Hände. Die gebrochen aussehenden Augen blickten mich ein letztes Mal zärtlich an. Ich versuchte, meine Tränen wegzublinzeln, entschlossen, daß mein letzter Blick auf sie, falls ich sie niemals wiedersehen würde, wenigstens lebendig und scharf sein sollte. »Ich kann es nicht ändern, Oelph, es tut mir leid.«
    »Kann ich dann nicht wenigstens mit Euch kommen, Herrin?« sagte ich, und mir wurde immer elender zumute. Dies war mein letztes und gräßlichstes Spiel. Das war das einzige gewesen, was ich entschlossen gewesen war nicht auszusprechen, weil es so offenkundig pathetisch und schicksalsschwer war. Ich hatte seit einem halben Mond oder so gewußt, daß sie weggehen würde, und in jenen wenigen Tagen hatte ich alles versucht, was mir eingefallen war, um in ihr den Wunsch zum Bleiben zu wecken, obwohl ich genau wußte, daß ihre Abreise unvermeidlich war und daß keines meiner Argumente für sie von irgendeinem Gewicht sein könnte, nicht zu messen mit dem, was sie für ihr eigenes Versagen hielt. Während all der Zeit hatte ich sagen wollen: ›Wenn Ihr schon gehen müßt, dann nehmt mich mit!‹
    Aber das waren zu traurige Worte, zu vorhersehbar. Natürlich war es das, was ich sagen würde, und natürlich würde sie mich abweisen. Ich war immer noch sehr jung und sie eine reife und weise Frau. Was würde ich anderes tun, wenn ich mit ihr ginge, als sie an das zu erinnern, was sie verloren hatte, worin sie versagt hatte? Sie würde mich ansehen und den König sehen und mir niemals vergeben, daß ich nicht er war, daß ich sie daran erinnerte, daß sie seine Liebe verloren hatte, auch wenn sie ihm das Leben gerettet hatte.
    Ich wußte, daß sie mir meine Bitte abschlagen würde, deshalb hatte ich den festen Entschluß gefaßt, sie nicht zu äußern. Das wäre das letzte Stückchen Selbstachtung, das ich mir erhalten wollte. Aber ein entflammter Teil meiner Seele sagte: Vielleicht sagt sie ja. Vielleicht wartet sie nur darauf, daß du fragst! Vielleicht (sagte diese verführerische, ungesunde, irregeleitete, süße Stimme in meinem Inneren) liebt sie dich wirklich und wünscht sich nichts sehnlicher, als dich mitzunehmen, heim nach Drezen. Vielleicht hat sie das Gefühl, daß es sich für sie nicht geziemt zu fragen, weil es bedeuten würde, dich von allem und allen wegzuholen, das und die du jemals gekannt hast, vielleicht für immer, vielleicht ohne Wiederkehr.
    Und deshalb fragte ich sie, wie ein Narr, und sie drückte mir nur die Hände und schüttelte den Kopf. »Ich würde es tun, wenn es möglich wäre, Oelph«, sagte sie leise. »Es ist so lieb von dir, daß du mich begleiten willst. Ich werde diesen lieben Zug von dir stets in ehrenvollem Andenken halten. Aber ich kann dich nicht auffordern mitzukommen.«
    »Ich würde überall mit Euch hingehen, Herrin!« rief ich, und meine Augen waren jetzt voller Tränen. Ich hätte mich ihr zu Füßen geworfen und ihre Beine umschlungen, wenn ich in der Lage gewesen wäre, richtig zu sehen. Statt dessen ließ ich den Kopf hängen und blubberte wie ein Kind vor mich hin. »Bitte, Herrin, bitte, Herrin.« Ich weinte, nun nicht einmal mehr in der Lage auszusprechen, was ich eigentlich wollte – daß sie bliebe oder daß sie mich mitnähme.
    »O Oelph, ich habe mich so sehr bemüht, nicht zu weinen.« Dann nahm sie mich in die Arme und drückte mich an sich.
    Endlich in ihren Armen gehalten zu werden, an sie gedrückt zu werden und die Erlaubnis zu haben, meine Arme um sie zu schlingen, ihre Wärme und ihre Kraft zu empfinden, ihre feste Weichheit zu spüren, diesen frischen Duft ihrer Haut einzusaugen. Sie legte das Kinn auf meine Schulter, so wie das meine auf der ihren ruhte. Zwischen meinen Schluchzern spürte ich, wie sie bebte, da sie jetzt ebenfalls weinte. Das letzte Mal, als ich ihr so nahe gewesen war, Seite an Seite, mein Kopf auf ihrer Schulter, ihr Kopf auf meinem, war in der Folterkammer des Palastes gewesen, einen halben Mond zuvor, als die Wachen mit der Nachricht hereingestolpert waren, daß der König im Sterben läge.
     
    Der König lag tatsächlich im Sterben. Eine schreckliche Krankheit hatte ihn aus heiterem Himmel befallen und dazu geführt, daß er während eines Abendessen, das für den plötzlich und in aller Heimlichkeit eingetroffenen Herzog Quettil veranstaltet wurde, zusammenbrach. König Quience war mitten in einem Satz verstummt, hatte starr geradeaus geblickt

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