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Inversionen

Inversionen

Titel: Inversionen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
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das eigentlich Unübliche liegt von Anfang an schon mal darin, daß eine Frau behauptet, Medizinerin zu sein. Aber, nein, ich habe keine Anzeichen für eine intime Beziehung bemerkt. Wißt Ihr etwas Näheres?
    A: Nein, ich habe mich nur gefragt, ob Ihr vielleicht etwas wißt.
    W: Hmm.
    A: Allerdings scheint sie eine sehr gute Ärztin zu sein. Zumindest hat sie dem König keinen offensichtlichen Schaden zugefügt, und das ist nach meiner Erfahrung sehr viel mehr, als man vernünftigerweise von einem Hofarzt erwarten darf. Vielleicht sollten wir sie fürs erste in Ruhe lassen, solange wir nicht mehr gegen sie vorzuweisen haben als unsere Verdächtigungen, so zuverlässig diese in der Vergangenheit auch gewesen sein mögen.
    W: Könnten wir. Werdet Ihr sie überwachen lassen?
    A: Nun, nicht in stärkerem Maße als gegenwärtig.
    W: Hmm. Und übrigens werde ich eine weitere Investition in die Wahrheit beziehungsweise in ihre Geschichte leisten, die möglicherweise Zinsen abwerfen wird.
    A: Ach ja? Wie das?
    W: Ich möchte Euch nicht mit Einzelheiten belästigen, aber ich habe meine Zweifel bezüglich einiger ihrer Behauptungen und hoffe gegenwärtig, jemandem vor den König zu bringen, der sie unglaubwürdig erscheinen lassen und zeigen wird, daß sie falsches Zeugnis abgelegt hat. Es ist eine langfristige Investition, aber sie sollte sich während unseres Aufenthalts im Sommerpalast auszahlen oder, falls nicht, kurz danach.
    A: Ich verstehe. Nun, wir wollen hoffen, daß Ihr Euer Kapital nicht einbüßt. Könnt Ihr mir verraten, welche Form es annimmt?
    W: Oh, es ist die Münze des Menschen. Und des Landes und der Sprache. Aber ich muß Diskretion wahren. Mehr werde ich nicht verraten.
    A: Ich denke, ich trinke noch etwas Wein. Ihr auch?
    W: Danke, nein. Ich habe mich noch um andere Angelegenheiten zu kümmern.
    A: Erlaubt mir…
    W: Danke. Ach, meine alten Knochen… zumindest bin ich in der Lage zu reiten, obwohl ich mich nächstes Jahr vielleicht einer Kutsche bedienen werde. Ich danke der Vorsehung, daß der Rückweg leichter ist. Und daß wir jetzt nicht mehr weit entfernt von Lep sind.
    A: Ich bin sicher, bei der Jagd könnt Ihr besser springen als Männer, die halb so alt sind wie Ihr, Herzog.
    W: Ich bin sicher, daß ich das nicht kann, aber Eure Schmeichelei ist dennoch freundlich. Guten Tag.
    A: Guten Tag, Herzog… Epline!
     
    All das habe ich von dem entsprechenden Teil im Tagebuch der Ärztin, das auf imperialisch verfaßt ist, abgeschrieben – mit einigen Auslassungen, um die Erzählung nicht allzu langweilig werden zu lassen. Ich habe es meinem Meister nie gezeigt.
    Hatte sie all das mitangehört? Das erscheint unbegreiflich. Der Wachkommandant Adlain hatte seinen eigenen Leibarzt, und ich bin sicher, daß er kein einziges Mal die Dienste der Ärztin in Anspruch genommen hat. Was hätte sie also in der Nähe seines Zeltes zu suchen gehabt?
    Waren die beiden vielleicht Liebende, und sie hatte sich während der ganzen Zeit unter einer Bettdecke versteckt? Das erscheint auch nicht wahrscheinlicher. Ich verbrachte beinahe die gesamte Zeit mit ihr zusammen, jeden Tag. Außerdem vertraute sie mir alles an, wirklich, davon bin ich überzeugt. Sie mochte Adlain schlichtweg nicht. Tatsächlich fühlte sie sich von ihm bedroht. Wie hätte sie plötzlich mit einem Mann ins Bett gehen sollen, den sie fürchtete, ohne zuvor das geringste Anzeichen erkennen zu lassen, daß dies ihr Wunsch war, oder danach, daß sie es getan hatte? Ich weiß, daß zwei Menschen in einer unerlaubten Liebschaft manchmal raffiniert bis zum Extrem sein können und plötzlich an sich selbst Reserven an List und Tücke und die Fähigkeit zu handeln entdecken, von denen sie bis dahin nicht einmal selbst etwas geahnt hatten, doch die Vorstellung von der Ärztin und dem Wachkommandanten in einer derartigen sexuellen Verschwörung würde gewiß bedeuten, den Bogen um eine Kerbe zu weit zu spannen.
    War Epline die Quelle? Hatte sie ihn irgendwie im Griff? Ich weiß es nicht. Es hatte nicht den Anschein, als ob sich die beiden kennen würden, aber wer weiß so etwas schon so genau? Vielleicht waren sie Liebende, aber eine solche Liaison ist mit der gleichen Unwahrscheinlichkeit behaftet wie die zwischen ihr und Adlain.
    Ich kann mir nicht vorstellen, wer sonst all dies mitgehört haben könnte. Mir kam auch schon der Gedanke, daß sie sich das alles nur ausgedacht haben könnte, daß das, was sie hier niedergeschrieben hatte, ihre finstersten

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