Irgendwann Holt Es Dich Ein
als wären die Journalisten samt und sonders verzückt von dem Prestige, das der Lady Jane Grey anhaftete.
In der Zeitschrift hatte Serena ihr Haus vorgestellt, dessen Inneneinrichtung eine unangenehme Mischung von Blumigem und Blinkendem war, nicht zu vergessen die nutzlosen Accessoires, die einem Haus angeblich erst das Gefühl von zeitgemäßer Wohnlichkeit verliehen - Flechtkugeln, Kerzen mit mehreren Dochten, Vasen mit toten Zweigen. Der Artikel hatte bei Kate eine Reihe gehässiger Gedanken ausgelöst. Auf einem Foto posierte Serena mit ihrem rotgesichtigen Ehemann, der sich offenbar eigens in ländliche Klamotten gezwängt hatte, in eine zu enge senfgelbe Kordhose und ein blaukariertes Hemd. Kate hatte sich kaum eine klammheimliche Freude verkneifen können, als sie sah, dass Serenas halbwüchsige Tochter übergewichtig war und einen teigigen Teint hatte. Da drängte sich natürlich die Frage auf, ob das Mädchen in der Schule getriezt wurde oder andere triezte.
»Komm direkt in die Scheune«, hatte Serena am Telefon geflüstert. »Da ist mein Büro, in der Scheune.« Wie ängstlich und hilfsbedürftig sie geklungen hatte! Hilfsbedürftig? Das passte überhaupt nicht zu Serena. Vielleicht war Kate deshalb so schnell zu ihr gefahren, weil ihr Serenas Hilflosigkeit so fremd erschienen war. Wollte sie sich womöglich an Serenas Verzweiflung ergötzen? Oder war sie in kindlicher Naivität entzückt darüber, helfen zu können und endlich von jemandem gebraucht zu werden, der sie noch nie zuvor gewollt oder gebraucht hatte?
Sie parkte neben einem großen Geländewagen und stieg aus. Alles war still. Es war ein kühler Spätnachmittag und Kates Atem formte sich zu weißen Wolken. Der sternklare Himmel wirkte riesig groß. Obgleich die Fahrt von London nur kurz gewesen war, hatte Kate das Gefühl, mitten auf dem Lande zu sein. Im Haus selbst brannte nur hinter einem der Fenster Licht, in einem Zimmer oder Flur im ersten Stock. Ansonsten war im und hinter dem Haus alles dunkel. Kate schritt vorsichtig über den Kiesweg, der rechts vom Haus, an einem Gewächshaus vorbei zu einem hoch aufragenden Gebäude führte, das die Scheune sein musste. Immer noch war sie nervös und angespannt und fürchtete, womöglich auf einen Streich hereinzufallen. Kate fragte sich, was geschehen würde, wenn sie die Tür zur Scheune erreichte. Würde Serena herausstürmen und sich über Kates Kleidung lustig machen, oder war sie vielleicht gar nicht da oder beobachtete sie von einem der dunklen Fenster aus und lachte sich schief, weil sie es geschafft hatte, dass Kathryn Small den ganzen Weg umsonst gefahren war?
Über der Scheunentür brannte eine kleine Lampe. Fröstelnd blieb Kate eine Weile vor der Tür stehen und wunderte sich, dass Serena nicht rausgekommen war, um ihr entgegenzugehen, als sie Kates Wagen gehört hatte. Mit jeder Sekunde wuchs ihre Überzeugung, dass es sich um einen albernen Scherz handelte. Sie könnte wieder ins Auto steigen, wegfahren und die Sache vergessen. Stattdessen aber richtete Kate sich entschlossen auf und drückte gegen die Tür. Groß und schwer ächzte sie knarrend auf.
In der Scheune war es fast stockduster. Einzig von der Lampe draußen fiel ein schwacher Lichtschein hinein, der keine zwei Meter weit in den Raum reichte. Kate trat langsam ein und versuchte dabei die Tür aufzuhalten, die jedoch zu schwer war und hinter ihr wieder zufiel. Bevor sie sich ganz schloss, quietschte sie unheimlich. Dann war alles dunkel. Kate tastete an der Wand neben sich nach einem Lichtschalter. Nichts. Sie stand einen Moment lang da und wartete, dass ihre Augen sich an die Dunkelheit gewöhnten. In der Scheune roch es nach Heu. Dann war da noch ein Parfumduft, ein vertrauter Geruch, den Kate nicht recht zuordnen konnte. Der harte Steinboden war kalt, wie Kate sogar durch ihre Stiefelsohlen fühlte. Nachdem sich ihre Augen auf die Finsternis eingestellt hatten, konnte sie ein schwaches Licht weit oben am anderen Ende der Scheune sehen, grün und träge blinkend, wie das Leuchten eines Standby-Lämpchens am Computer.
Kate suchte auf der anderen Seite der Tür nach einem Schalter, hatte aber auch hier keinen Erfolg. Also machte sie vorsichtig einen Schritt vorwärts in Richtung des grünen Lichts. Da berührte etwas ihr Gesicht, das vor ihr von der Decke baumeln musste. Mit einem kurzen Aufschrei sprang sie zurück und wehrte es mit einer Hand ab. Jetzt erst begriff sie, dass es die Zugschnur einer Lampe sein
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