Irgendwann Holt Es Dich Ein
zumute.
»Sie waren auch vor Ort, als Miss Fox sich das Leben nahm.«
Wieder gab sie die kürzestmögliche Antwort: »Ja.«
DI Reynolds sah sie merkwürdig an, sagte aber nichts. Dann räusperte er sich, und zu Kates ungemeiner Erleichterung wechselte er das Thema. »Können wir über Mr. Harcourt reden?«
»Okay«, sagte sie zögernd. Was in aller Welt sollte sie über einen Mann sagen, dem sie erst ein einziges Mal begegnet war - und das nur für wenige Minuten?
»Haben Sie ihn an dem Tag gesehen?«
»Kurz. Als er von der Arbeit kam.«
»Sind Sie ihm vorher schon mal begegnet?«
»Nein, noch nie.«
»Wie würden Sie nach Ihrer kurzen Begegnung seinen Gemütszustand an dem Tag beschreiben?«
»Am Boden zerstört.«
»Wirklich?«
Und dieses »Wirklich« verriet ihr alles. Sie glaubten, dass George Serena umgebracht hatte. Deshalb überprüften sie die Zeitabläufe so gründlich. Er war ihr Verdächtiger. Kate fiel ein, was Josie über den Streit ihrer Eltern gesagt hatte. Und sie erinnerte sich, wie Josie zusammengezuckt war, als George sie in die Arme nehmen wollte.
»Ihnen ist gerade etwas eingefallen, habe ich recht?«, fragte DI Reynolds. Für einen Mann, der solche Schwierigkeiten hatte, Blickkontakt zu anderen zu halten, war er erstaunlich aufmerksam.
»Er wirkte wütend auf mich, das ist alles. Er kam in die Küche und schien wütend, mich zu sehen. Na ja, er kannte mich ja gar nicht, und er war am Boden wegen seiner Frau. Da begrüßt wohl niemand eine Fremde mit offenen Armen, oder?«
Sie stellten noch einige weitere unmissverständliche Fragen, gingen nochmals durch, was Kate bereits gesagt hatte, ließen sich alle Zeitangaben abermals bestätigen, und dann standen die beiden auf, um zu gehen. Als er sich umdrehte, um seinen Stuhl an den Tisch zu schieben, entdeckte der junge Polizist mit dem polnischen Namen das Poster von Kate und unterdrückte ein Grinsen. DI Reynolds folgte kurz dem Blick seines Kollegen und sah dann wieder weg, ohne eine Miene zu verziehen. Er schaute Kate an. »Es muss sehr belastend für Sie sein, zwei alte Freundinnen unter solch tragischen Umständen sterben zu sehen.«
Kate sah ihn einfach nur schweigend an und überlegte, was genau er damit meinte. Es klang wie eine Andeutung, eine Art Provokation, eine unausgesprochene Unterstellung. Und dann blickte er Kate wieder an und bemerkte wohl, dass sie verwirrt, geradezu erschrocken war, denn er schenkte ihr ein sehr echt wirkendes Lächeln. »Oh, tut mir leid, das hat sich wohl wie einer dieser Polizistentricks angehört. Ich wollte wirklich nichts andeuten. Was ich sagte, habe ich genauso gemeint, nämlich dass es ganz furchtbar für Sie gewesen sein muss.«
»Ja, ja, das war es. Danke.«
Als sie den Raum verlassen hatten, stellte Kate fest, dass sie zitterte. Sie setzte sich wieder an den Tisch und atmete tief ein und aus. Gleichzeitig suchte sie in ihrer Tasche nach ihrem Handy. Sobald sie es gefunden hatte, wählte sie Neils Nummer. Sie musste mit ihm reden und ihn fragen, was er von dem Besuch der Polizei hielt und wie er ihre Fragen deutete, denn ihr eigener Verstand arbeitete leider nicht richtig. Aber Neils Handy war abgestellt, sodass sie direkt auf seiner Mailbox landete. Und während sie da hockte und mit dem Stift spielte, den DI Reynolds bei der Befragung in der Hand gehabt hatte, arbeiteten sich ihre Gedanken an einem weiteren Rätsel ab.
Es muss sehr belastend für Sie sein, zwei alte Freundinnen unter solch tragischen Umständen sterben zu sehen. Zwei Menschen waren gestorben, nachdem sie seltsame, boshafte Sachen zugeschickt bekamen. Zwei Frauen hatten anscheinend Selbstmord begangen, und in beiden Fällen wirkte der Suizid wie eine überzogene Reaktion. Ja, das fasste es in etwa zusammen. Und jetzt vermutete - wusste? - die Polizei, dass eine der beiden ermordet worden war, worauf sich für Kate unweigerlich die Frage stellte, ob nicht beide umgebracht wurden.
Sie dachte daran, wie alles angefangen hatte: Hattie, die an der Tottenham Court Road in die U-Bahn gestürzt kam. Sie war verängstigt, regelrecht in Panik. Sie schien vor jemandem wegzulaufen, wollte ihr Handy benutzen, um jemanden anzurufen. Kate hatte es als typisch für Hattie, die allzeit dramatisch Veranlagte, abgetan. Hattie war eben wieder mal betrunken und paranoid. Aber - und hier schlug sie einen Bogen zurück zu ihrem Gespräch mit Neil auf der Trauerfeier - angenommen, jemand hatte Hattie wirklich verfolgt? Angenommen, sie
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