Irgendwo dazwischen (komplett)
echt
richtig auf die Nerven.“ Er seufzt. „Vielleicht telefonieren wir später noch
einmal. Ich habe echt keinen Geist mehr für dieses präpubertäre Verhör. Wenn du
ein mangelndes Selbstwertgefühl hast, ist das nicht meine Schuld.“ Nachdem er
das sagt, legt er auf. Ich dachte, so was machen nur Frauen. Auflegen meine
ich. Eine ganze Weile halte ich noch den Hörer in der Hand und schaue ins
Nichts. Ein präpubertäres Verhör, also. Na, da habe ich mich wohl doch in Elias
ritterlicher Art ein wenig getäuscht. Ich lege das Telefon weg.
Und auch wenn ich nicht weiß, warum, so weiß ich dennoch nicht, ob
ich ihm wirklich glaube. Und ja, vielleicht hat er wirklich Recht, und ich habe
zu wenig Selbstbewusstsein, vielleicht glaube ich ihm nicht, weil ich ihm nicht
glauben will. Vielleicht, weil ich mir nicht vorstellen kann, dass ein Kerl eine
Frau wie Giselle ablehnt und das auch noch meinetwegen. Zusätzlich frage ich
mich, ob es meinetwegen gewesen wäre, wenn er doch sagt, dass er nie gedacht
hätte, dass sich zwischen uns etwas ergeben würde. Und wenn es nicht wegen mir
war, warum hat er es dann nicht getan? Es hat doch schließlich nichts mit uns
zu tun. Und das wiederum würde bedeuten, er wäre mir keine Rechenschaft
schuldig. Hätte er jedoch mit ihr geschlafen und mir von Anfang an die
volle Wahrheit gesagt, hätte ich an jenem Abend sicher nicht mit ihm
geschlafen. Der Gedanke, dass er ein paar Tage zuvor noch auf Giselle
herumgeturnt hat, wäre einfach zu abstoßend gewesen. Und das auch noch in
demselben Bett...
Es spricht also mehr dafür, dass er mit ihr geschlafen hat, als
dass nicht. Und er hätte gute Gründe, wenn ihm etwas an mir liegt, dahingehend
zu lügen. Und wenn er gelogen hat, wäre es in seinen Augen vielleicht ratsamer,
bei dieser Version der halben Wahrheit zu bleiben, wenn er will, dass ich ihm
vertraue... Vielleicht ist es nämlich überhaupt nicht präpubertär, sondern
entspricht genau den Fakten. Und das würde auch erklären, warum er dermaßen
überzogen reagiert hat. Und auch, warum er mich absichtlich verletzt. Denn wenn
er das Augenmerk auf mein mangelndes Ego und mein unreifes Alter lenkt, geht es
plötzlich nicht mehr um ihn, sondern um mich.
Natürlich könnte es auch einfach sein, dass ich das alles falsch
sehe. Es könnte sein, dass er einfach enttäuscht von mir ist, oder verärgert,
weil ich ihm nicht glaube und seine Antwort in Frage stelle... Ich habe keine
Ahnung. Normalerweise würde ich mit Emma darüber reden. Doch das geht nicht.
Und mit meinem neuen Verbündeten kann ich nicht sprechen, weil er das
Problem ist. Leni kann ich nicht anrufen, weil ich ihre Handynummer nicht habe,
und ich würde eher töten, als bei Altmanns am Festnetz anzurufen. Denn im
Moment will ich weder Emma noch Elias am Hörer haben. Und weil ich mir sicher
bin, dass Marie gerade in, auf oder unter Mona ist, verwerfe ich auch den
Gedanken, sie anzurufen.
Nach einer halben Stunde der stillen Zweifel, schreibe ich Marie
letztlich doch eine SMS. Hey Schatz... Ich hoffe, ich störe dich nicht. Mir
geht es gar nicht gut. Warst du nicht in der Schule? Habe dich gesucht... Wenn
du Zeit hast, melde dich bitte... Kuss Kuss, Lili! Nach einer weiteren
dreiviertel Stunde schreibe ich eine weitere SMS. Noch mal ich, Liebes. Wenn
du dich innerhalb der nächsten halben Stunde nicht meldest, rufe ich an, auch
auf die Gefahr hin, dass ich störe. Ich will wissen, ob mit dir alles in
Ordnung ist. Mit mir nämlich nicht. Bitte, ruf mich an. Ich bin daheim. Kuss
Kuss! L
Ein paar Minuten später piept mein Handy. Es ist Leni. Na, Du?
Wie geht’s Dir? Wollte Dir nur sagen, dass es mich freut, dass wir uns nach
Jahren jetzt endlich besser kennenlernen. Nur die Umstände sind nicht so, wie
ich es mir gewünscht hätte… Hier, jetzt hast Du jedenfalls meine Nummer. Wenn
Du Lust hast, etwas zu machen, meld Dich einfach, ja? Liebe Grüße – Leni
Und auch wenn mich diese Nachricht wirklich freut, kann ich mit
ihr nicht über dieses Problem reden. Auch wenn ich gerne wollte. Antworten
sollte ich trotzdem.
Komm schon Marie. Jetzt meld’ dich endlich. Als ich nach dem
gestellten Ultimatum immer noch nichts von Marie gehört habe, rufe ich sie an.
Und genau in dem Moment, in dem ich überlege, ob ich auflegen soll, geht sie
doch ans Telefon. Und sie klingt grauenvoll. „Hallo Lili“, flüstert sie verheult
in den Hörer.
„Mein Gott, Marie, was ist denn passiert?“
„Musst du wirklich noch fragen?
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