Irgendwo dazwischen (komplett)
schnell verfliegt, wie sie gekommen ist. Ich weiß
nicht, wie laut ich war, ich weiß nicht, ob ich noch atme, ich weiß nur, dass
ich in diesem Moment das Glück in mich einsauge. Ich nehme es auf. Und dann
muss ich lächeln. Innerlich bin ich vollkommen gelöst. Für diesen wundervollen
Moment sind alle Sorgen verflogen.
Und dann, ganz plötzlich, ist alles anders. Ich öffne die Augen
und sehe, wie er ein Kondom aus seiner Tasche zieht und es überrollt. Er
lächelt. Und dieses Lächeln ist mehr als nur ein normales Lächeln. Es schreit
förmlich, dass das der Moment ist, auf den er schon ewig gewartet hat. Und ich
habe es nicht bemerkt. Ich schließe die Augen, weil ich ihn nicht länger
ansehen kann. Ich spüre, wie Paul zwischen meine Beine robbt. Ich spüre, wie er
in mich eindringt. Und dann ist sie wieder da, die Gewissheit, dass ich nicht ihn will. Bis eben hätte er auch eine Frau sein können. Meine Augen waren
geschlossen, meine Gedanken frei. Doch die Tatsache, dass er sich in mir
bewegt, macht es mir klar. Er ist keine Frau, er ist ein Mann. Er ist Paul,
mein bester Freund. Und ich sollte das nicht tun. Andererseits kann ich ihn
doch jetzt nicht abweisen, nicht jetzt. Nicht, nachdem ich gekommen bin. Er
würde es nie verstehen. Wie auch? Ich habe ihm eindeutige Zeichen gegeben
weiterzumachen. Ich wollte ihn. Und jetzt will ich ihn nicht mehr. Doch er
bewegt sich. Und er wird schneller. Was soll ich sagen? Du, Paul, bitte hör
auf, das reicht jetzt... Vielleicht dauert es ja nicht mehr lange.
Vielleicht kommt er gleich, und es ist vorbei. Sein Atem an meinem Hals, seine
Zunge in meinem Ohr. Und plötzlich mag ich auch den Biergeruch nicht mehr. Wie
gelähmt liege ich unter ihm. Hoffentlich hat er es bald. Dann hört er auf.
„Marie?“ Ich schlage die Augen auf. „Ist alles in Ordnung?“ Er ist außer Atem.
Bisher hat noch keiner bemerkt, dass ich das nicht will. Doch Paul kennt mich.
Die Wahrheit oder doch lieber die Lüge? „Marie?“ Er sieht unsicher aus.
„Alles okay...“, hauche ich.
„Sicher?“ Ich nicke, weil ich es nicht schaffe, noch einmal zu
lügen. Und dann schließe ich wieder die Augen. „Ganz sicher?“
Und dann sage ich es, ihm zuliebe. „Bitte mach weiter...“ Ich sage
es nicht nur, ich stöhne es. Ich will ihn nicht abweisen. Nicht so und nicht
jetzt. Und er glaubt mir, denn er macht weiter. Erst sanft, dann werden seine
Bewegungen gierig, und sein Atem schwerer. Ich atme mit ihm, ich bewege mich
unter ihm. Ich spiele Lust. Und dann hält er inne. „Hör nicht auf“, fordere
ich.
„Warte... ich will es noch herauszögern...“
Auch das noch. „Nein, bitte, bitte mach weiter“, bettle ich. Und
ich bewege mich weiter. Und dann spüre ich es, sein Körper wird steif, seine
Hände vergraben sich in meinem Fleisch. Und da ist es wieder. Das Pumpen. Es
ist vorbei. Endlich.
Und zu meinem Entsetzen ist es das doch nicht. Denn nach wenigen
ermatteten Sekunden bewegt er sich weiter. „Ich will, dass du auch kommst“,
flüstert er. Ich kann das nicht. Ich schaffe es nicht. Ich kann ihm das nicht
vorspielen. Und in diesem Moment wünschte ich, ich hätte ihn abgewiesen, als er
mich geküsst hat. Ich wünschte, ich hätte ihm gesagt, dass ich Lili liebe. Das
wäre sicher hart gewesen, aber noch härter wird es jetzt für ihn werden. Ich
will nicht mehr. Ich will ihn nicht mehr in mir spüren. Und dann sage ich es.
„Bitte hör auf...“
Emma
Zum dritten Mal fange ich den ersten Satz an. Ich weiß nicht, ob
es wirklich Sinn macht, das zu versuchen. Ich meine, wofür, wenn ich ihn doch
nicht abschicke? Mein Handy klingelt. Und ich weiß, dass es Clemens sein wird,
der sich mit mir treffen will. Doch ich habe keine Lust. Ich will nicht mit ihm
schlafen, und reden kann ich mit ihm nicht. Man offenbart Fremden nicht die
tiefsten Schmerzen der Seele. Und Clemens ist ein Fremder. Ein Fremder, mit dem
ich schlafe. Ein Mensch, der mich nicht kennt. Ich schaue auf das Display. Er
ist es. Und dann schalte ich auf lautlos um, weil ich nicht vorhabe, mit ihm zu
reden.
So. Was will ich Stefan sagen? Was soll er wissen? Was fühle ich?
Also, noch ein Versuch. Ein letztes Mal werde ich es noch versuchen.
Lieber Stefan,
ich weiß, es ist lange her. Ich weiß, es ist viel passiert. Und
ich weiß, dass es zu spät ist. Ich will dir trotzdem diesen Brief schreiben,
von dem ich noch nicht weiß, ob ich ihn je abschicken werde. Aber zumindest schreiben
muss ich ihn.
Ich will, dass du
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