Irgendwo dazwischen (komplett)
vorbei
wäre. Ich meine, wenn ich die Zeit mit ihm als Erinnerung behalten, ihn aber
gehen lassen könnte. Je länger ich darüber nachdenke, desto mehr glaube ich,
dass wir unsere Zeit hatten. Kann man jemandem verzeihen, der einen aus Angst
verlassen zu werden, verlassen hat? Ich weiß nicht, ob ich es könnte. Es heißt
immer, dass Liebe alle Hürden überwinden kann. Doch ich glaube das nicht. Ich
glaube, es gibt Dinge, die man nicht ungeschehen machen kann, die immer
zwischen einem stehen werden. Und auch wenn der andere vorgibt, es zu
verzeihen, tut er es wirklich oder sagt er es bloß? Wie soll man das wissen?
Ich weiß es nicht. Und ich werde es ich vermutlich auch nie.
Trotzdem wünsche ich mir, ihn zu sehen. Und auch meine Vernunft
kann daran nichts ändern. Denn inzwischen glaube ich, dass ich vielleicht nicht
unrecht hatte, ihn zu verlassen. Das mag konfus klingen, aber ganz
offensichtlich war ich nicht soweit. Ich konnte nicht verstehen, dass er mich
geliebt hat. Sollte man das nicht? Sollte man nicht verstehen, warum jemand
einen liebt? Und wenn ich ihn wirklich so sehr geliebt habe, warum habe ich ihn
dann verlassen? Meine Angst von ihm verlassen zu werden, war vielleicht größer
als meine Gefühle es waren. Ich kann nicht sagen, was passieren wird. Und zum
ersten Mal habe ich keine Angst deswegen. Ich bin sogar gespannt. Es hat
schließlich auch etwas Gutes an sich, dass wir nicht wissen, was passiert.
Sonst wäre es doch wirklich langweilig…
Lili
Ich starre auf meine Füße, weil ich seinem Blick nicht standhalten
kann. Trotz meiner schwarzen Kuschelsocken und dem Strickmantel meiner Mama,
ist mir eiskalt. Meine Füße sind zu kleinen Eiszapfen mutiert, und die Kälte
kriecht meine Waden hoch. Eine ganze Weile sagen wir beide nichts. „Warum hast
du mit ihr geschlafen? Und warum hast du mir nichts gesagt?“
Er holt tief Luft. „Ich habe mit ihr geschlafen, weil ich dachte,
du wärst an Ben interessiert...“
„Das ist keine Entschuldigung“, schneide ich ihm das Wort ab.
„Lass mich doch einfach ausreden...“ Und auch wenn ich wirklich an
mich halten muss, so sage ich nichts mehr. „Also, ich dachte, dass es zwischen
uns nie klappen wird. Und weil ich mir da so sicher war, habe ich es getan. Es
klingt vielleicht idiotisch, aber Menschen machen eben idiotische Sachen... Sie
hat sich mir angeboten, mehrfach. Und ich dachte, wenn ich mit ihr schlafe,
kriege ich dich vielleicht aus dem Kopf. Ich dachte, ich könnte sie wieder
lieben. Keine Ahnung, was ich dachte. Ich glaube, ich wollte sie lieben, weil
das einfacher gewesen wäre. So oder so, es hat nicht funktioniert...“ Nun
weicht er meinem Blick aus.
„Wann war es?“, frage ich kalt.
„War es bevor oder nachdem du mich in der Küche bei euch gesehen
hast?“
„Danach.“ Er räuspert sich. „Es war an dem Abend.“ Er sagt es, als
würde es ihm körperliche Schmerzen zufügen, es laut auszusprechen. „Dich zu
sehen, war mit ein Grund, warum ich es getan habe...“
„Bitte?“, platzt es aus mir heraus, „Jetzt soll ich auch noch was
damit zu tun haben?“
„Kapierst du es denn nicht, Lili? Du hast alles damit zu
tun. Ich war mir sicher, zwischen dir und Ben wäre was... Er hat gesagt, ihr
wärt euch näher gekommen . Und Ben ist einer meiner besten Freunde. Er
will schon so lange was von dir. Und dann sehe ich dich in der Küche und du
siehst so schön aus. Und Emma hat gesagt, du hast jemanden ins Auge gefasst.
Und da dachte ich, wenn ich mit Giselle schlafe, will ich vielleicht wieder
sie. Das wäre viel einfacher gewesen... Ich habe in dieser Nacht mit ihr
geschlafen, und ich habe es noch in derselben Nacht bereut.“ Alles, was er
sagt, macht Sinn. Und auch, wenn es wehtut, ist es absolut einleuchtend. Ich
hätte es vielleicht auch getan.
„Warum hast du gelogen?“
„Liegt das nicht auf der Hand? Ich habe einen Fehler gemacht...“
Er macht eine Pause. „Du hast so geweint. Was hätte ich denn tun sollen? Im
Ernst jetzt. Ich meine, hätte ich es dir da sagen sollen? In dem Augenblick,
als ich dich zum ersten Mal in den Armen gehalten habe?“ Ich sage nichts. „Ich
erwarte nicht, dass du alles vergisst und ich erwarte nicht einmal, dass du mir
verzeihst, aber ich will, dass du wenigstens versuchst, mich zu verstehen.“ Und
ohne zu wissen warum, küsse ich ihn. Es scheint plötzlich so klar und so
unbedeutend. Es braucht einen kurzen Moment, bis er realisiert, was passiert,
aber dann schließt er mich in
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