Irondead: Der zehnte Kreis (German Edition)
einem der Constabler die Knöpfe von der Uniform gerissen wurden, um als kleine, gefährliche Geschosse durch die Luft zu zischen. Ein kaltes blaues Leuchten jagte über die Kettenglieder überall rings um mich herum, und Jacobs wachte gerade lange genug aus seiner Bewusstlosigkeit auf, um mit einem Schrei die Hand vor den Mund zu schlagen, aus dem plötzlich eine Fontäne aus rotem Blut und etwas Kleines und Dunkles schoss. Das Brummen war noch einmal lauter geworden, hatte eindeutig die Grenze zu echtem Schmerz überschritten und näherte sich nun der des Erträglichen, um sie zweifellos ebenso zu überschreiten und die finsteren Gefilde dahinter zu erkunden.
Darüber hinaus fragte ich mich, wieso ich eigentlich noch lebte.
Die Spinne stand seit etlichen Sekunden vollkommen reglos da, ihre fünf verbliebenen Beine wie die Finger einer verstümmelten Hand zum Zupacken geöffnet und die rasiermesserscharfen Fänge (es waren wieder zwei) nur noch Zentimeter von meinem Gesicht entfernt. Ich sah, dass an ihren Spitzen zwei ölig glänzende Tröpfchen schimmerten, von denen ich mir zu gerne eingeredet hätte, dass es nur irgendein Schmiermittel war und kein Gift.
Aber sie griff nicht an.
Das Summen hatte auch von ihr Besitz ergriffen. Ich konnte sehen, wie all die unzähligen winzigen Drahthärchen auf ihrem Leib im Rhythmus des an- und abschwellenden unhörbaren Geräusches zitterten, und da war etwas, tief in ihren starrenden Glasaugen, das ich nicht mit Worten und nicht einmal wirklich in Gedanken beschreiben konnte, zugleich aber auch unübersehbar war. Hätte mir der klägliche verbliebene Rest meines logischen Denkens nicht versichert, dass so etwas bei einer Maschine gar nicht möglich war, ich hätte geschworen, es wäre Überraschung, wenn nicht gar Furcht.
Wenn es so war, dann zu Recht.
Tief in den starrenden Glasaugen des Ungeheuers begann ein düsteres blaues Licht zu pulsieren, die optische Umsetzung eines schlagenden Herzens, das immer schneller und schneller raste und immer heller und heller leuchtete …
… und dann so jäh erlosch, dass auch mein Herz für einen einzelnen Schlag ins Stolpern kam und mir die Luft wegblieb.
Die Folgen für die Spinne waren weitaus dramatischer. Das mechanische Ungeheuer zuckte, als hätte es einen Stromschlag bekommen, stolperte auf seinen hinteren Beinen zurück und fiel dann auf die Seite, wobei sich seine Beine wie die Finger einer Faust schlossen. Das mechanische Ungetüm starb sogar wie die Kreatur, die es sich zum Vorbild genommen hatte.
Erst jetzt – und viel zu spät – kam auch ich auf den Gedanken zurückzuspringen. Prompt verfing sich mein Fuß in einer der kreuz und quer ausgelegten Ketten, und ich versuchte erst gar nicht, um mein Gleichgewicht zu kämpfen, sondern konzentrierte mich lieber darauf, meinen Sturz abzurollen, was sich als durchaus kluge Entscheidung erwies. Fast schon elegant kam ich wieder auf die Füße und fuhr zu Allison herum, während hinter und neben mir ein Chor erschrockener Schreie und Rufe laut wurde, als wäre ich nicht der Einzige, der erst mit gehöriger Verspätung überhaupt begriffen hatte, was geschah, und darauf reagierte. Das Licht flackerte wieder, und das sonderbare Summen war immer noch zu hören, wurde aber nun ebenso schnell wieder leiser, wie es zuvor angeschwollen war.
Fast schon ängstlich rief ich Allisons Namen, doch sie nahm mich gar nicht zur Kenntnis, sondern hatte sich tief über Jacobs gebeugt und fuhr mit zitternden Fingerspitzen über sein Gesicht, während sie unentwegt seinen Namen flüsterte – ein Anblick, der mir einen tiefen Stich vollkommen absurder, aber dennoch schmerzhafter Eifersucht versetzte.
Ich verscheuchte den Gedanken erschrocken und ließ mich neben Jacobs und der jungen Frau auf die Knie sinken. Jacobs hatte das Bewusstsein wieder verloren, wimmerte aber dennoch leise. Allison hatte seinen Kopf auf die Seite gedreht, sodass das Blut aus seinem Mund laufen konnte und er nicht Gefahr lief, daran zu ersticken, doch ich sah, dass ihm mindestens zwei Zähne fehlten, wenn nicht mehr, die wie mit brutaler Gewalt aus seinem Kiefer herausgerissen worden zu sein schienen.
Wieder flackerte das Licht, ging dann für eine Sekunde ganz aus und brannte danach deutlich trüber weiter.
»Ist jemand verletzt?«, fragte Nikola laut.
»Nein!«, rief Adler, und Allison fügte praktisch gleichzeitig und mindestens ebenso laut ein »Ja« hinzu.
»Gut«, sagte Nikola, vorsichtshalber nicht
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