Irrfahrt
schwarzes, hautenges Kleid, das ihre Figur wirksam zur Geltung brachte. Das Haar fiel ihr in leichten Wellen auf die linke Schulter.
Die Madame half Gerber beim Aussuchen einer preiswerten Flasche Sekt. Dann gingen Gerhard und Dominique in die obere Etage. Die älteren Herren, die sich in den Nischen erst anzuwärmen pflegten, schätzten es gar nicht, wenn junge Leute länger als nötig im Salon blieben. Die Madame wußte das und hatte auch dafür Verständnis.
Das Boudoir war im Rokokostil eingerichtet, mit viel Weiß und Gold. Der Sektkübel wurde von einer Kellnerin aufs Zimmer gebracht. Überhaupt war hier alles einige Stufen vornehmer als im «Navigateur».
Niki öffnete geschickt die Flasche. Nach dem ersten Glas saß sie auf Gerbers Schoß, nach dem zweiten begann sie sich auszuziehen. Das Kleid hatte einen langen Reißverschluß, der sich als sehr praktisch erwies.
Kurz vor Mitternacht kehrte Gerber mit weichen Knien auf seinen Dampfer zurück. Er war um hundert Mark ärmer und um hundert Erfahrungen reicher. Dominique sei begabt, aber für ältere Herren zu anstrengend, hatte die Madame im Salon gesagt. Da hatte sie zweifelsohne recht.
«Fahrzeug in Richtung dreihundert Grad!» Der Alarm riß die Besatzung aus ihrem Halbschlaf. Alle starrten auf das Wasser. Schnellboote? Eine treibende Boje? Ein Wrack? In der Finsternis war eine Täuschung leicht möglich.
Von der Brücke wurden rote und grüne Sterne geschossen. Das gesichtete Fahrzeug sollte Erkennungssignal geben. Gespannt warteten die Männer hinter ihren Geschützen auf Antwort. Nichts.
Auf dem Signaldeck wurde ein Scheinwerfer klargemacht. Der helle Lichtstrahl, der plötzlich aufflammte, blendete die Männer für einige Sekunden. Noch immer war auf dem Wasser nichts zu sehen. Erst als der Scheinweder langsam schwenkte, kam ein kleines Floß in den Lichtkegel. Deutlich hoben sich die ausgebleichten Balken von der mattschwarzen Wasserfläche ab.
Rauh manövrierte sein Boot vorsichtig heran. Der Anblick war grausig. Auf dem Floß hockten bewegungslos zwei mit Stricken und Lederriemen festgebundene Gestalten. Eine Rettung kam hier zu spät. Von den Schiffbrüchigen war nur noch die äußere Hülle geblieben. Trotzdem befahl der Kommandant, das Floß mit einer Winde hochzuhieven.
Als die beiden Körper mühsam aus der steif gewordenen Vertäuung gelöst waren, fielen sie auseinander wie morsches Holz. Ein stinkiger Brei von dunkler Farbe breitete sich aus. Im Schein ihrer Taschenlampe erkannten die Männer wild zappelnde, längliche Tiere. Ein Schwarm Aale hatte sich von den Leichnamen ernährt.
Es war auf keine Weise festzustellen, wer die Toten waren und welcher Nation sie angehörten. Wochen oder gar Monate mußten sie auf ihrem Floß getrieben sein, vielleicht quer über den Atlantik.
Gerber wandte sich erschüttert ab. Tot bei Tripolis angeschwemmt! Erst jetzt hatte er eine Vorstellung davon, wie erbärmlich sein Freund Heinz Apelt umgekommen war.
Kurz vor der Hafeneinfahrt geschah das Malheur. Beim Einholen der Rabatzboje brach der Stander. Die Schäkel konnten das schwere Gerät nicht halten, es versank im gurgelnden Wasser. Die Seekarte verzeichnete an dieser Stelle zwanzig Meter Wassertiefe. Nur mit einem Tauchgerät hätte man die Boje bergen können, aber das hätte zuviel Aufsehen erregt.
Der Alte bekam einen Tobsuchtsanfall, den Gerber auf Stärke neun schätzte. Der arme Bootsmaat, der für das Manöver verantwortlich war, stand schlotternd vor seinem Kommandanten und sah sich im Geiste schon bei der Strafkompanie. Hier waren, das erkannte jeder, ein Tatbericht und eine umfangreiche Verlustmeldung fällig. Viele hohe Herren würden auf diesen Papieren ihre Bemerkungen anbringen, und alles würde dem Kommandanten des Bootes und seiner Besatzung für lange Zeit angelastet werden.
Diese unersprießliche Entwicklung hatte Oberleutnant Rauh vor Augen, als er Gerber rufen ließ. Übergangslos wurde er freundlich. «Der Tatbericht ist ja erst in zwei Tagen fällig», sagte er. «Sehen Sie doch mal zu, ob sich die Schreiberei nicht überhaupt vermeiden läßt...» Auf deutsch hieß das, der Fähnrich sollte eine neue Rabatzboje beschaffen.
Gerber war von dem schwierigen Auftrag nicht erbaut. AusgereChnet jetzt mußte das passieren, wo Leutnant Adam in Urlaub war. Hier konnte dur einer helfen: der Matrosengefreite Seidel.
Seidel war pfiffig. Er stammte aus Dresden, sprach ein breites, of t nachgeahmtes Sächsisch und tätigte
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