Irrfahrt
allerlei dunkle Geschäfte. Seidel hatte immer Geld. Da er gelegentlich dem Kommandanten eine Gefälligkeit erwies, sah ihm dieser bei mancher Übertretung durch die Finger.
Gerber entschloß sich, den Gefreiten ins Kartenhaus holen zu lassen. Im gleichen Augenblick öffnete Seidel das Schapp, machte eine lässige Ehrenbezeigung und baute sich vor Gerber auf. Mit dem Instinkt des Geschäftemachers hatte er die Lage richtig eingeschätzt: daß der Kommandant diese unangenehme Sache unter allen Umständen vertuschen wollte; daß er den peinlichen Auftrag natürlich an Gerber weitergeben würde; daß Gerber natürlich ihn, Seidel, rufen lassen würde.
Seidel entwickelte nach kurzer Ermunterung einen umfassenden Plan. Eine Rabatzboje sei bestimmt irgendwo überzählig, also wollte er versuchen, sie einzutauschen. «Wozu hammer die zwee Schlauchboote, die mer gar nieh bräuchten! Un von der letzten Inschpektion hammer ooch noch drei Ganister Schiffsbodenfarbe ibrich!»
Gerber versprach ihm drei Tage dienstfrei. Diese Zeit würde Seidel zu einem Dutzend privater Geschäfte nutzen, doch was half's. Hauptsache, er trieb eine neue Boje auf!
Schon mittags meldete Seidel, daß bei einem M-Bock von der Nachbarflottille eine geeignete Boje überzählig wäre. Dort hätten sie zwar genügend Schiffsbodenfarbe und Schlauchboote, aber es fehle an Tampen.
Nach zwei Tagen hatte er glücklich das Tauschgeschäf über viele Ecken abgeschlossen. Die neue Boje wurde in der Abenddämmerung längsseits gebracht. Der Bootsmaat suchte eigenhändig besonders kräftige Schäkel heraus, ehe er das Gerät an Bord nahm.
Rauh glaubte daraufhin sehr zu Unrecht, sein Fähnrich Gerber sei ein Mann von bemerkenswertem Organisationstalent.
Sehnsüchtig wartete Gerber auf Post von Helmut Koppelmann. Bisher waren nur zwei Briefe eingegangen, beide aus Lorient. Helmut schrieb, daß er wieder bei Kapitänleutnant Thieme gelandet sei und demnächst auslaufen würde. Das war nun schon einige Wochen her.
Seidel, der seine Ohren überall hatte, flüsterte Gerber eine Nachricht zu: In den letzten Monaten sollten über siebzig U-Boote verlorengegangen sein. Es wäre kaum noch möglich, an die Konvois heranzukommen.
«Stimmt nicht», widersprach Gerber. «Anfang Mai, bei den Neufundlandbänken, haben wir einen Haufen Schiffe versenkt.»
«Janze zwölf», flüsterte Seidel, «und auf jedes gommt een U-Boot!»
Gerber hielt es auf seinem Kahn nicht mehr aus. Seidel hatte ihn verwirrt. Er mußte erst wieder zu sich finden, andere Menschen sehen.
Er besuchte sein altes Boot, den M-Bock. Oberleutnant Häfner war noch immer Kommandant, wirkte aber nicht mehr so gelassen wie früher. Ein neuer Leutnant fuhr als I WO bei ihm, ein Scharfmacher, der hauptamtlicher HJ-Führer gewesen war.
Dann zu Kehlhus, jetzt Oberbootsmann. Kehlhus war kaum wiederzuerkennen. Geistesabwesend starrte er vor sich hin. Er brauchte eine Weile, bis er sich an Gerber erinnerte. Allmählich taute er auf, sprach stockend, in zusammenhanglosen Sätzen. Seine Familie war bei einem Großangrif f auf Hamburg ums Leben gekommen. Häfner hatte ihm sofort Urlaub bewilligt. Tagelang war er durch das ausgebrannte Stadtviertel geirrt. Dort, wo einmal sein Haus gestanden hatte, breitete sich ein riesiges Trümmerfeld aus, und irgendwo unter den Trümmern lagen seine Angehörigen. Seitdem war Kehlhus ein gebrochener Mann.
Andere Besatzungsmitglieder fand Gerber unverändert. Althof f machte die üblichen Witze, zumeist auf Kosten der jüngsten Matrosen. Vogel und Meyer waren inzwischen zu Gefreiten befördert. Aber ans Ruder stellte man Meyer nicht mehr.
Ritter fehlte. «Sitzt oben auf der Festung. Hat wieder ein Ding gedreht und ist dabei erwischt worden...» Ritter war wirklich ein Pechvogel.
Und Hansen? Im Logis herrschte Verlegenheit. Mußte Gerber auch ausgerechnet nach Hansen fragen! Keiner wollte so recht mit der Sprache heraus, aber Gerber ließ nicht locker. Er erfuhr, daß gegen Hansen ein Verfahren lief. Kontakte mit Franzosen, mit Leuten von der Bootswerf t Lebrun. «Unser neuer Leutnant hat ihn angeschissen», sagte Vogel leise. «Schnüffelt überall herum, jedes Wort muß man auf die Goldwaage legen...»
Gerber erschrak. Auch er war bei Lebrun gewesen, hatte mit den drei Arbeitern gesprochen. Konnte jemand, der es darauf anlegte, ihm daraus einen Strick drehen? Überstürzt verabschiedete er sich von seinen alten Freunden.
Von Oberleutnant Rauh erhielt er sofort einen
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