Irrfahrt
nur nicht erwischen lassen. Dafür werdet ihr bestraft, nur dafür!»
Nach diesem Grundsatz lebten die Fallschirmjäger.
Gerber lief ein Schauer über den Rücken. Mit solchen Untaten war die Bevölkerung der besetzten Länder bestimmt nicht für Deutschland zu gewinnen. Dunkel ahnte er, daß man später dem ganzen Volk die Rechnung präsentieren würde.
Gerber erledigte den täglichen Papierkrieg. Verpflegungslisten waren zu kontrollieren, die Stärkemeldung mußte unterschriftsfertig vorgelegt werden. Im Grunde war das alles langweiliger Kram, der seit Jahrzehnten zum geheiligten Ritual der Marinebürokratie gehörte.
Unter der Post befand sich auch eine Mitteilung des Flottillenstabes. Sie besagte, daß demnächst drei neue Besatzungsmitglieder auf dem Boot einsteigen sollten.
Durchs offene Schott des Kartenhauses erblickte Gerber drei Gestalten mit Seesack, die an der Pier umherirrten. Waren das etwa schon die Neuen? Bei der miserablen Transportlage war das zwar unwahrscheinlich, aber er beschloß, sich die Männer aus der Nähe anzusehen.
«Antreten!» befahl Gerber. Er hatte Mühe, sein Erstaunen zu verbergen. Neben zwei Matrosen, die bestimmt nicht älter waren als siebzehn, stand - welch ein Zufall! - sein ehemaliger Hausmeister Rämisch. Es wurde ihm sichtlich schwer, den vollgepackten Seesack auf dem Rücken zu tragen. Sein feistes Gesicht war gerötet, und die Augen traten ihm fast aus den Höhlen.
Einige Besatzungsmitglieder waren hinzugekommen und musterten die Neuen mit unverhohlenem Interesse.
Zuerst fragte Gerber die beiden jungen Männer aus: Heimatort, Alter, Beruf, Ausbildung, besondere Fähigkeiten. Dabei ließ er sich Zeit; Rämisch sollte ruhig schwitzen.
«Und Sie?» «Matrose Rämisch, sechsunddreißig Jahre, von Beruf Hausmeister an einer höheren Schule.»
«Sehr aufschlußreich», sagte Gerber ironisch. Der dumme Rämisch hatte ihn immer noch nicht erkannt. Verfügen Sie über besondere Fähigkeiten, Matrose Rämisch?.
«Jawoll, Herr Oberfähnrich!» schnarrte Rämisch. «Bei der SA war ich Hauptsturmführer. Ich habe sogar einen Kompanieführerlehrgang mitgemacht.»
Gerber frohlockte. So ein Heini! Betont lässig erwiderte er: «Auf Leute wie Sie haben wir hier gerade gewartet!»
Rämisch nahm diese Worte ernst und trat einen Schritt vor. Er glaubte fest, nun gleich eine wichtige Vertrauensstellung übertragen zu bekommen.
«Zurück ins Glied, Sie Hauptsturm-Matrose!» fauchte Gerber. Alle lachten. Ein Hauptsturmführer der SA als Matrose! Das hatten die Männer noch nicht erlebt.
Verwirrt forschte Rämisch in den Gesichtszügen des langen Oberfähnrichs. Allmählich kam ihm die Erinnerung, und er bedauerte zutiefst, daß sich die Verhältnisse so grundlegend gewandelt hatten.
Gerber studierte die Personalpapiere der neuen Besatzungsmitglieder, aber bei Rämisch fand sich kein Hinweis, weshalb er seinen schönen Posten als Hausmeister verloren hatte. Das war eine schreiende Ungerechtigkeit. Gerber dachte an Moppel. An das Versprechen fühlte er sich jetzt nicht mehr gebunden. In der Messe erzählte er, was er über Rämisch wußte. Oberleutnant Rauh und Adam hörten aufmerksam zu. Die Backschafter lauschten wie üblich am Schott, und es blieb nicht beim Lauschen. Aufstieg und Fall des einstigen Hauptsturmführers waren in kürzester Zeit der ganzen Mannschaf bekannt. Seine Vergangenheit in der SA hätte man ihm noch verziehen, seine Lebensmittelschiebungen in der Heimat jedoch nicht.
Am nächsten Morgen wurde Rämisch zum Deckreinigen eingeteilt. Er hatte Wasser zu schütten. Ein Gefreiter drückte ihm eine Pütz mit langem Tampen in die Hand, er solle sie außenbords voll Wasser laufen lassen und anschließend hochhieven.
Unschlüssig hielt Rämisch das Gerät in der Hand. «Fier weg!» rief der Oberbootsmann. Gehorsam ließ Rämisch die Leine durch die Hand laufen. Dann geschah es. Entweder hatte er nicht aufgepaßt, oder es war ihm jemand auf die Zehen getreten. Jedenfalls hielt Rämisch das Ende nicht fest. Tampen und Pütz versanken im Wasser.
Der Schmadding tobte. «Fier weg, habe ich gesagt, Sie ... Sie dämlicher Hauptsturmfierer!» Alle bogen sich vor Lachen über diesen gelungenen Witz der Nummer Eins. Für einige Minuten wurde die Arbeit unterbrochen, was nur selten vorkam. Sogar die Funker, die sich normalerweise beim Deckschrubben in ihrer Funkbude unsichtbar machten, kamen gelaufen und ließen sich die Geschichte brühwarm erzählen.
Nun galt es, die
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