Irrfahrt
abgesoffene Pütz zu bergen. Der Oberbootsmann befahl Rämisch, das Takelzeug auszuziehen und ins Wasser zu springen. Das war kein Vergnügen, denn das Wasser im Hafenbecken war durch Fäkalien und Öl verunreinigt und stank entsetzlich.
Rämisch gehorchte. Nach einigen Sekunden kam er natürlich ohne die Pütz - wieder an die Oberfläche. Der Schmadding ließ ihn ein zweites Mal springen. Wieder vergebens! Rämisch war weder ein guter Schwimmer noch ein gewandter Taucher.
«Springen Sie doch vom Kartenhausdeck», riet der Oberbootsmann. Hilfreich zeigte ihm ein Matrose den Weg. Aus drei Meter Höhe würde der Versuch vielleicht eher gelingen.
Von der Reling des Kartenhauses war ein komplizierter Sprung zu absolvieren, denn man mußte in der Luf t eine halbe Schraube drehen. Rämisch versuchte das auch, allerdings ohne Erfolg. Mit einem Bauchklatscher landete er im Wasser.
An Deck erhob sich ein Torfstechergebrüll, als Rämisch wieder auftauchte. Er hatte unter Wasser die Richtung verloren und war mit dem Kopf an die Bordwand gestoßen. An seiner Stirn entwickelte sich eine gewaltige Beule.
Die Pütz wurde später von einem Schlauchboot aus mit Hilfe zweier zusammengebundener Bootshaken geborgen. Rämisch aber behielt eine schmierige, blaugrün schillernde Patina auf seiner Haut. «Heut abend helf t ihr ihm, sich ordentlich abzuseifen», sagte der Schmadding. «Jawohl, Herr Oberbootsmann!» antwortete ein Chor fröhlicher Stimmen.
Nach Dienstschluß wurde eine große Wanne mit heißem Wasser auf die Schanz gebracht. Rämisch mußte sich splitternackt hineinsetzen. Dann begannen viele Hände ihr Werk. Von der Handwaschbürste bis zur Klosettbürste waren alle Sorten vertreten. Bunt war auch die Palette der Waschmittel. Rämisch grunzte, stöhnte, schrie. Sein Körper färbte sich krebsrot, die Haut war an mehreren Stellen lädiert. Zum Schluß zog ihn jemand kräftig an den Beinen, so daß er mit dem Kopf untertauchte und eine Portion Seifenwasser schluckte.
Mit dieser Tortur war Rämisch zum anerkannten Trottel der Besatzung aufgestiegen. Alle Schimpfwörter, die man kannte, wurden um die Silben «Hauptsturm-» erweitert.
Beim Backen und Banken verteilte der Decksälteste, ein junger Bauer aus Holstein mit einer weithin berühmten Schweinezucht, die Fleischportionen. Rämisch erhielt ein winziges Stück und maulte. «Halt bloß die Fresse, du Hauptsturmferkel! Dich lassen wir hier am kleinsten Titt lutschen!»
Rämisch wurde immer stiller. Von seiner Machtstellung, die er an der Schule besaß, war nichts mehr übriggeblieben. Er verzehrte sich in ohnmächtiger Wut, die er hauptsächlich gegen den Oberfähnrich Gerber richtete. Der aber tat, als ginge ihn das Schicksal des Matrosen Rämisch überhaupt nichts an.
Anfang Mai wurden ausgewählte Mitglieder der Besatzungen, darunter aIIe Offiziere, Boots- und Steuerleute, Maschinisten und einige andere, in einem großen Saal versammelt. Ein Vortrag war angesetzt. Gerber wollte sich drücken und schob dienstliche Gründe vor; die «geistige Stallfütterung» behagte ihm nicht. «Tut mir leid», sagte Leutnant Adam. «Ihr Name steht auf der Liste. Erscheinen ist Pflicht.»
Zur allgemeinen Überraschung erschien auf der Veranstaltung ein Konteradmiral, der sinngemäß eine Ansprache wiedergab, die Großadmiral Dönitz Mitte April 1944 vor allen Führern der Frontverbände gehalten hatte.
«Es ist klar», sagte der Admiral, «daß wir nach fast fünf Jahren Krieg jetzt überall in der Defensive stehen. An den Fronten geht es langsam zurück. Der Oberbefehlshaber der Kriegsmarine hat gegenüber dem Führer die Meinung vertreten, daß im Osten millimeterweise verteidigt werden muß. Auf diese Weise gewinnen wir Zeit, um im Westen mit völlig neuen Unterseebooten wieder antreten zu können.
Augenblicklich ist die Kriegsmarine kaum in der Lage, das Vorfeld an der Küste ausreichend zu schützen. Bei der Luftüberlegenheit des Feindes ist sogar mit einem zunehmenden Druck zu rechnen. Um die Verteidigung der Küste verbessern zu können, wäre ein beschleunigter Aufbau der leichten Seestreitkräfte notwendig. Das bedingt aber erhebliche Anstrengungen unserer Werften, die unter dem Bombenkrieg schwer zu leiden haben.
Die Frage ist nun, ob auch die Kriegsmarine zukünftig in der bloßen Verteidigung bleiben muß .. Das einzige Offensivmittel, das wir besitzen, ist die U-Boot-Waffe. Es ist der ausdrückliche Wunsch des Großadmirals Dönitz, im Laufe dieses Jahres
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