Irrfahrt
Obersturmführer war für die Briten wegen seiner dürftigen Fachkenntnisse immer nur «Doktor». Er tat so, als ob er diese Zurücksetzung nicht bemerke. Kränkend war hingegen die Anrede für Dr. Turgel, aber als Emigrant war er in England ein staatenloser Ausländer und mußte sich eben fügen. Schon lange wartete er auf eine Gelegenheit, sein Können zu beweisen.
Der Ärztekommission des Lazaretts wurde ein deutscher Feldwebel vorgestellt, dessen Unterarmschuß abgeheilt war. Eigentlich konnte er ins Lager entlassen werden, doch der Radialnerv war bei der Verwundung durchtrennt worden, und seine Hand blieb überwiegend gefühllos. Die Ärzte beschlossen, die Enden des Radialis zu nähen eine stundenlange schwierige Arbeit, die großes chirurgisches Können erforderte.
Dr. Peter wurde - mehr scherzhaf t - gefragt, ob er diese Aufgabe übernehmen wolle. Natürlich paßte er. Dr. Turgel erklärte sich bereit, den Feldwebel zu operieren. Tag und Stunde wurden festgesetzt. Der Chefarzt Mr. Pitton erschien in höchsteigener Person und beobachtete interessiert den Verlauf der Operation.
Dr. Turgel schaffte es. Der Nerv wurde genäht, die Naht hielt, und nach einigen Wochen hatte der Feldwebel das Gefühl in seinen Fingern wiedergewonnen. Seitdem sprach jeder nur noch von «Mister» Turgel.
Schon mehrmals hatte Colonel Blimp beantragt, Dr. Peter abzuberufen und durch einen anderen kriegsgefangenen Arzt zu ersetzen. Aber das War Office blieb stur. Dr. Peter behielt seine leitende Stellung und stümperte weiter. In einer Beziehung allerdings leistete er Hervorragendes: Viele seiner SS-Kameraden hatten Sorgen; auf der Innenseite des rechten Oberarms war ihnen die Blutgruppe eintätowiert, und dieses Brandmal wollten sie gerne los sein. So mancher Unteroffizier oder Gefreite in den Listen der Engländer war in Wirklichkeit Unterscharführer oder Rottenführer der SS. Nur mit Hilfe des Arztes konnte er seinen falschen Dienstgrad weiterführen.
Was hier gespielt wurde, bemerkten auch die britischen Ärzte. Verhindern konnten sie es nicht, solange der SSArzt in seiner Stellung blieb. Das War Office wollte diesen Betrug. Bereits 1944.
An einem trüben Dezembertag, eine Woche vor Weihnachten, ließ Generalfeldmarschall von Rundstedt seine Panzertruppen zu einem Gegenschlag ausholen. Sechshundert überschwere Panzer, Königstiger genannt, trugen den Angrif f durch die Ardennen nach Westen vor. Bastogne wurde umzingelt, die Panzerspitzen standen nicht mehr weit von der Maas.
Die Nachricht schlug ein wie eine Bombe. Niemand im britischen und amerikanischen Hauptquartier hatte mit einer Offensive der Deutschen gerechnet.
Im Lazarett herrschte große Aufregung. Kaum hatte Gerber die Zeitungen erhalten, scharten sich die Männer um sein Bett und wollten zuhören. Auch Major Kämpfe und der Generalstäbler fanden sich ein. Dr. Peter setzte sich sogar auf den Bettrand.
Die Zeitungen sprachen vom Ardennes-Salient, einem tiefen Einbruch in die Ardennenfront. Gerber mußte den Leitartikel übersetzen, den ein Frontberichterstatter nach London gekabelt hatte. «Somebody has blundered» - jemand hat einen Fehler gemacht. Eifriges Nicken, hämisches Gelächter.
Der Kommentar war ungeschminkt: Rundstedts Vorstoß erfolgte genau an der Nahtstelle zwischen den britischen und den amerikanischen Truppen. Dadurch wurde die einheitliche Führung der Alliierten erschwert. Wegen des schlechten Wetters hatte die Luftaufklärung versagt, und die Bereitstellung der Reserven erwies sich als verfehlt.
«Endlich kommt die große Wende», sagte Dr. Peter und straffte siegesgewiß die Brust. Der Generalstäbler erläuterte sachlich auf der Karte, wohin der Vorstoß zielte: die Maasübergänge gewinnen, bis an den Kanal vordringen, Briten und Amerikaner voneinander trennen. Ein zweites Dünkirchen...
Die «Eisernen», allen voran Dr. Peter, trugen den Kopf nun höher. Am liebsten hätten sie mitten im Krankensaal das Horst-Wessel-Lied angestimmt.
Die nächsten Tage brachten weitere Einzelheiten. Der Verkehrsknotenpunkt Bastogne wurde von US-Truppen gehalten, der Angrif f Rundstedts kam am 26. Dezember weit vor den Maasbrücken zum Stehen. Unterdessen ging die Suche nach dem Sündenbock weiter.
Anfang Januar flackerte die Offensive noch einmal auf und führte bei den Alliierten zu einer kritischen Situation. Churchill schrieb einen besorgten Brief an Premier Stalin und bat ihn, seine geplante Oder-Weichsel-Operation einige Tage vorzuverlegen,
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