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Irrfahrt

Irrfahrt

Titel: Irrfahrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Grümmer
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erließ wenige Tage darauf eine ähnliche Verfügung, die auch für die Gefangenenlager in Großbritannien galt.
    Die Zählappelle dauerten jetzt länger. Of t standen die Gefangenen anderthalb Stunden in Wind und Wetter. Zu wahllosen Zeiten wurden zusätzliche Zählungen durchgeführt, auch nachts. Alle Männer des Compounds mußten hierbei einen sogenannten «Hammelsprung» machen und in Viererreihen zwischen eingerammten Pfählen durchmarschieren. Rechts und links nahmen britische Soldaten Aufstellung, die ihre Gewehrkolben gebrauchten, wenn Marschtritt oder Seitenrichtung mangelhaf t waren. Kluge Leute polsterten sich unter ihrem Mantel mit einer Decke ab. Trotzdem gab es blaue Flecke, vereinzelt sogar gebrochene Rippen.
    Der Eisenhower-Befehl wirkte sich am stärksten auf die Verpflegung aus. Die Rationen wurden einschneidend gekürzt. Von einem Tag auf den anderen zog der Hunger ins Lager ein. «Die Zuteilungen sind auf zweitausend Kalorien festgesetzt», erklärte ein Mediziner über den Lautsprecher. «Das reicht aus, um nicht zu verhungern.» Aber es reichte wirklich nur knapp; das konnte Gerber bald an seinem Hosenbund feststellen.
    Ganz überraschend kamen kleine Trupps der Bewacher in einen Block, riegelten einige Baracken ab und wühlten die Seesäcke durch. Ohne erkennbaren Anlaß, aus reiner Schikane. Damit wollte die Lagerleitung den Gefangenen demonstrieren auf welcher Stufe der Rechtlosigkeit sie nunmehr als Mitschuldige standen. Auch wer diese Mitschuld einsah vermißte einen weggenommenen Pullover nicht weniger als ein eingefleischter Nazi. Ob diese Methode der «Umerziehung» richtig war, bezweifelten nicht nur Männer wie Ulbert und Gerber.
    Zwischen den beiden hatte sich ein Vertrauensverhältnis entwickelt, das wegen des Altersunterschiedes auch ein bißchen von einer Vater-Sohn-Beziehung bestimmt war. Gerber hatte lange geschwankt, ob er sich Ulbert so eng anschließen sollte. Seit dem Verlust all seiner Freunde war er von der abergläubischen Furcht befallen, eine neuerliche Bindung könnte wieder tragisch enden. Ulbert merkte, was in dem jungen Menschen vorging, und ließ ihm Zeit.
    Über viele Dinge hatten Rolf und Gerhard etwa gleiche Ansichten: über Parteibonzen und Nazibeamte, über Briten und Amerikaner, über Lagerführer Müller und Obermeyer, über den deutschen Barras und das Wetter in Wales.
    Gerhard wußte, daß Ulbert von Beruf Ingenieur war, Kenntnisse im Bau von Lokomotiven besaß und aus einer Kleinstadt in der Nähe von Kassel stammte. Das Städtchen war nicht bombengefährdet, und höchstwahrscheinlich hatte seine Familie den Krieg heil überstanden. Aber ein Thema war bisher sorgfältig vermieden worden: Ulberts militärische Vergangenheit.
    Nachdem Gerhard in zahllosen Unterhaltungen freimütig über seine Erlebnisse berichtet hatte, konnte auch Ulbert nicht länger schweigen. Und so erfuhr Gerhard endlich seine Geschichte.
    Rolf Ulbert war langjähriger U-Boot-Fahrer gewesen. Auf Grund seines technischen Wissens hatte man ihn gleich zu Kriegsbeginn eingezogen. Er wurde schnell befördert. Schon nach zwei Jahren war er Leutnant der Reserve. Er fuhr als II WO auf einem Atlantikboot, das mehrere Erfolge erzielte. Als sein I WO ein selbständiges Kommando bekam, sollte Ulbert aufrücken und wurde zu einem I-WO-Lehrgang geschickt. Da sein Boot noch nicht wieder klar zum Auslaufen war, behielt man ihn zu einem Kommandantenlehrgang auf der Schule. Ulbert besaß alle Voraussetzungen, in etwa einem Jahr selbst ein Kommando zu erhalten.
    Im Frühjahr 1943 war «das große Sterben» der U-Waffe in vollem Gange. Neue Unterseeboote kamen in großer Stückzahl von den Werften; sie waren jedoch technisch kaum über den Vorkriegsstand hinaus entwickelt worden. Ulbert sah die Katastrophe klar vor Augen. Die Boote wurden von Dönitz in den Tod gehetzt. Nur Fahrzeuge, die wesentlich vervollkommnet waren, hätten einigermaßen mithalten können. «Die Entwicklung neuer Boote ist in Vorbereitung», hieß es in den Atlantikhäfen.
    Rolf Ulbert, nun Oberleutnant zur See, hielt mit seiner Meinung nicht hinter dem Berge. Sein Kommandant sah die Probleme ebenso wie er, besaß aber nicht so gute technische Spezialkenntnisse. Außerdem wußten beide, daß ihrem schwer angeknackten Boot nicht mehr viel zuzutrauen war. Eigentlich mußte es außer Dienst gestellt werden.
    Ulbert schrieb auf Veranlassung seines Kommandanten eine Denkschrif t an den alten Löwen: Die Boote aus dem Atlantik

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