Irrfahrt
zurückziehen, ihre Besatzungen schonen, bis neue Kampfschiffe mit größerer Geschwindigkeit und längerer Fahrtstrecke unter Wasser einsatzbereit sind. Waffentechnische Entwicklungen gegen Korvetten und Zerstörer beschleunigt vorantreiben ...
Gerhard kannte viele Geschichten über Dönitz und konnte sich vorstellen, welche Wirkung der Brief auslöste. Die Herren vom BdU-Stab waren von ihrer Gottähnlichkeit überzeugt, sie duldeten nicht die leiseste Kritik.
Ulbert wurde nach La Pallice zitiert und vor ein Kriegsgericht gesteilt. Zersetzung der Wehrkraft, mangelnde Einsatzbereitschaft, übler Einfluß auf die Stimmung der kämpfenden Truppe - lauteten die Anklagepunkte. Erschwerend kam hinzu, daß er im Einvernehmen mit seinem Kommandanten gehandelt hatte. Gemeinschaftliche Beschwerden sind Meuterei, hieß es, obwohl er den Brief allein geschrieben hatte.
Todesstrafe - verkündete das Kriegsgericht. Einige Wochen später wurde das Urteil durch Gnadenerlaß in lebenslänglich Zuchthaus umgewandelt, abzusitzen nach Kriegsende. Zum Matrosen degradiert, fuhr Rolf Ulbert die restlichen Monate seiner Dienstzeit auf einem Sperrbrecher. Trotz heftiger Fliegerangriffe auf die Zufahrtswege zu den Häfen an der Biscaya überlebte er alle Einsätze. Schließlich wurde Frankreich von den Alliierten überrollt. Matrose Ulbert begab sich von seinem Einsatzhafen rechtzeitig «auf Dienstreise» und geriet in amerikanische Gefangenschaft.
«Natürlich war es naiv von mir zu glauben, ich könnte mit einer Denkschrif t die Entscheidungen des BdU in irgendeiner Weise beeinflussen. Mich aber deshalb zum Meuterer zu stempeln und wie einen Verbrecher abzuurteilen? In mir brach alles zusammen, und ich bin auch heute noch nicht damit fertig», sagte Ulbert.
Der Herbst in Wales war unangenehm. Es regnete tagelang. Die Feuchtigkeit drang den Männern durch die Kleidung und hielt bald auch Einzug in die Wellblechhütten. Seesack und Wäsche, Decken und Ledersachen, alles fühlte sich klamm an.
Unter den Ärzten des Lagers befand sich ein Pathologe, der zeitweise Dozent an irgendeiner kleinen Universität gewesen war. Dieser Dr. Schallock war als Lagerhygieniker eingesetzt und mußte Küchen und Waschräume, Vorratskammern und Aborte inspizieren.
Infolge des andauernden feuchten Wetters breitete sich eine Darmentzündung im Lager aus. Abortkübel standen vor den Barackentüren, weil viele Kranke den Weg bis zur Latrine nicht mehr schafften. Bei Appellen hatte man nur die Wahl, entweder in die Hosen zu machen oder schnell wegzulaufen, was in Sichtweite des Lageroffiziers nicht seiten einen Kolbenstoß zur Folge hatte.
Der Zustand der von Hunger und Krankheit geschwächten Gefangenen war erbärmlich. Viele versanken in Apathie, aber es gab auch andere Reaktionen.
Zählappell in Compound D. Zwei Stunden lang mußten die Männer frierend auf dem zugigen Platz stehen. Neugierig gafften die Insassen der angrenzenden Blocks herüber. Bei den Nachbarn war offenbar dicke Luft. Ein riesiges Aufgebot an Wachmannschaften schwirrte durchs Compound. Sogar der Lagerkommandant erschien, in Begleitung von mehreren Offizieren.
«Alle Bewohner der Baracke vierunddreißig vortreten!» Zögernd kam einer nach dem anderen aus den Reihen gekrochen. Während sie Aufstellung nahmen, rückte in strammem Marschtritt ein britisches Arbeitskommando mit Hacke und Spaten an. Hinter Baracke 34 begann eine große Buddelei.
Die Bewohner planten einen Ausbruchversuch. Von einer Ecke ihrer Hütte aus hatten sie einen schmalen, unterirdischen Gang gegraben. Kleine Säcke mit Erde wurden heimlich weggetragen und in die Latrinen oder Mülltonnen geschüttet. Wochenlang hatte die gesamte Besatzung der Vierunddreißig hart gearbeitet. Knapp die Hälfte des Tunnels war fertiggestellt, als das Unternehmen aufflog. Einem britischen Offizier war aufgefallen, daß die Abfälle des Blocks D an Gewicht zugenommen hatten und zwei Fuhren mehr erforderten als die Abfälle anderer gleich starker Blöcke. Daraufhin setzte er einen außerordentlichen Zählappell an, den er dazu benutzte, sich in den Baracken am Rande des Lagers gründlich umzusehen.
Der Eingang des Tunnels wurde entdeckt. Geröstete Brotscheiben, hart getrocknet und in Blechbüchsen verpackt, sollten als Marschproviant dienen. Außerdem fand man ein spanisches Wörterbuch. Die Männer hatten begonnen, Vokabeln zu pauken. Südamerika war das Ziel ihrer Träume.
Der Lagerkommandant zeigte wenig Verständnis für
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