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Irrfahrt

Irrfahrt

Titel: Irrfahrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Grümmer
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Intensität führen zu können. In Wirklichkeit nahm die britische Admiralität nach der warnungslosen Torpedierung des Schiffes an, Hitler wolle sich bewußt nicht an die völkerrechtlichen Bestimmungen halten. Nun lag die Fotokopie des Logbuches auf dem Tisch des Gerichtshofes. In die Enge getrieben, mußte Dönitz die Fälschung zugeben. Raeder behauptete, der unerfahrene Kommandant habe die «Athenia» mit einem Hilfskreuzer verwechselt. Schuld trüge einzig und allein Hitler, der dem Außenminister die Weisung erteilte, bei der Ableugnung zu bleiben. Von einem Propagandafeldzug gegen Mr. Churchill will Raeder nichts gewußt haben.
    Das war der Tenor der Verteidigung in Nürnberg und ebenso argumentierten die meisten Gefangenen im Lager. Haben wir tatsächlich nichts gewußt? Gerhard und Rolf waren sich einig: Wer die «Athenia» auf dem Gewissen hatte, war bei den U-Boot-Fahrern allgemein bekannt. Gerhard erfuhr davon in Mürwik. Manche Fähnriche hielten die GoebbelsEnte für eine «blendende Idee», vorzüglich geeignet, das Ansehen des verhaßten Britannien zu untergraben. «Das erste Opfer im Krieg ist die Wahrheit», hatte Helmut Koppelmann damals leise zu Gerhard gesagt.
    Der «Fall Athenia» war nur der Anfang einer Reihe von Kriegsverbrechen, die Raeder und Dönitz zur Last gelegt wurden: Führung des uneingeschränkten U-Boot-Krieges, Versenkung unbewaffneter Handelsschiffe neutraler Staaten, Nichtbergung und Beschießung von Schiffbrüchigen mit Maschinengewehren unter Verletzung des Londoner Protokolls von 1936.
    Mit überlegener Ruhe führte der britische Ankläger den Prozeß. Dönitz trug noch die Ärmelstreifen eines Großadmirals, die ihm fast bis zum Ellbogen reichten. Sein Verteidiger, der ehemalige Flottenrichter Dr. Otto Kranzbühler, erschien zur Verblüffung aller Anwesenden in voller Uniform. Die Berechtigung dazu leitete er aus der Tatsache her, daß Einheiten der deutschen Kriegsmarine in der britischen Besatzungszone noch nicht aufgelöst waren. Der schlaue Kranzbühler hatte es sogar fertiggebracht, sich Einblick in die Geheimarchive der britischen Admiralität zu verschaffen.
    Was wurde hier gespielt? Trat Dönitz deshalb so anmaßend auf, weil ihm bei der Beweisaufnahme nicht nachgewiesen werden konnte, daß er in die Verschwörung gegen den Frieden eingeweiht war?
     
    In den Prozeß platzte eine Nachricht, die Aufsehen erregte. Churchill hatte in der kleinen Universitätsstadt FuIton (USA) eine antisowjetische Rede gehalten. «Vereinigt euch, um Rußland zu stoppen!» Die britischen Zeitungen druckten den vollen Wortlaut.
    Gehässig sprach Churchill von den jungen volksdemokratischen Staaten, forderte Westeuropa und die USA zum Zusammenschluß gegen die Sowjetunion auf. Zynisch sagte er über das geschlagene Deutschland: «Wir haben offenbar das falsche Schwein geschlachtet.»
    Gerber hegte keine Sympathien für den Kommunismus, aber er hatte aus dem Prozeß von Nürnberg gelernt, daß die Sowjetunion von allen überfallenen Ländern am schwersten betroffen war. Und nun, kaum daß der zweite Weltkrieg beendet war, erschien das Gespenst eines neuen Krieges am politischen Horizont.
    Den Presseberichten aus Nürnberg war anzumerken, welchen Eindruck die Hetzrede Churchills auf gewisse Kreise machte. Die Angeklagten bekamen Auftrieb; sie hofften, die Spannungen zwischen den Siegermächten würden sich auf das Militärtribunal übertragen. Viele versuchten, mit langatmigen Ausführungen und Ablenkungsmanövern Zeit zu gewinnen, um die Vertagung, vielleicht sogar die Einstellung des Prozesses zu erleben.
    Offen traten jetzt hohe Militärs der Westalliierten auf die Seite ihrer deutschen Kollegen. Admiral Nimitz, Oberbefehlshaber der US-Pazifikflotte, bestätigte dem Angeklagten Dönitz in einer schriftlichen Zeugenaussage, daß die U-Boote der Vereinigten Staaten den Handelskrieg gegen Japan nach genau denselben Bestimmungen geführt hätten wie Hitlers Kriegsmarine. Das entsprach zwar nicht ganz der Wahrheit, doch Nimitz trug wesentlich dazu bei, daß die Anklage gegen Dönitz in diesem wichtigen Punkt zusammenbrach.
    Das war Wasser auf die Mühle von so manchem Kriegsgefangenen im Lager. Hatte nicht Eisenhower einen Befehl erlassen, möglichst viele deutsche Soldaten zu killen? Grausamkeiten der alliierten Soldaten, der Bombenkrieg gegen offene Städte, ja sogar die mangelnde KohlenzuteiIung für die Baracken oder fehlende Zahnpasta mußten herhalten, um die Schuld der alliierten

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