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Irrfahrt

Irrfahrt

Titel: Irrfahrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Grümmer
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einen Obergefreiten Kreutzmann, der wenige Tage nach Beginn des Lehrganges wieder zurückgeschickt wurde. Nicht etwa, weil er eine braune Weste hatte. Im Gegenteil: Kreutzmann stammte aus einer kommunistisch eingestellten ArbeiterfamiIie, sein Vater war Funktionär der KPD gewesen. Aus diesem Grunde paßte er manchen Leuten nicht ins Konzept.
    Das Schulungslager Wilton Park lag in der Nähe von London. Es wurde von Männern geleitet, die mehrere Jahre in der Emigration zugebracht hatten. Sie gehörten zum rechten Flügel der SPD oder zu den Jungsozialisten. Einige Zentrumsleute, die sich für eine Mitarbeit im Schulungslager zur Verfügung stellten, wurden wieder fortgeschickt. Das war kein Wunder. In London regierte Labour mit einer überwältigenden parlamentarischen Mehrheit. WiIton Park war der verlängerte Arm, mit dem Labour auf die Gefangenen und somit später auf Deutschland politischen Einfluß ausüben wollte.
    Die USA hingegen waren bestrebt, vor allem christliche Kreise für ihre Deutschlandpolitik zu gewinnen. Ihr wichtigster Vertrauensmann in der britischen Besatzungszone war der Oberbürgermeister von Köln, ein gewisser Dr. Adenauer. Allerdings blieb er nicht lange in diesem Amt. Der britische
    Besatzungsgeneral enthob ihn aus nichtigem Anlaß seines Postens. Anfang 1946 hatte Adenauer im Rheinland die Führung einer neuen Partei, der Christlich-Demokratischen Union, übernommen. Dem siebzigjährigen Mann mit den verkniffenen Augen maß keiner der Gefangenen eine Bedeutung bei.
     
    Das erste Auftreten eines geschulten Funktionärs im Lager war ein großes Ereignis. Viele Männer hofften nun Genaueres über die Zukunft ihrer Heimat zu erfahren. Der Referent sprach über Nachkriegsprobleme in Deutschland, er schilderte das Ausmaß der Zerstörungen und die Schwierigkeiten beim Wiederaufbau. In der sowjetischen Besatzungszone war eine Bodenreform im Gange. Landarbeiter und Flüchtlingsfamilien erhielten Ackerboden, Vieh und Inventar. In den anderen Besatzungszonen sollten entsprechende Maßnahmen folgen, die Gesetze waren schon zur Beschlußfassung vorbereitet.
    Ansonsten lobte der Referent - kein Wunder nach der ausgiebigen Schulung in Wilton Park - vor allem die Verhältnisse in der britischen Zone. Die Männer wußten aus Zeitungen und den Briefen ihrer Angehörigen, daß gerade im Ruhrgebiet schlimme Zustände herrschten und gehungert wurde. Wiederaufbau der zerstörten Industrie? Davon sei noch wenig zu bemerken, mußte der Referent zugeben. Als Erklärung schob er die Bestimmungen des Potsdamer Abkommens vor.
    Diskussion.
    «Warum geschieht nicht mehr, um die Entnazifizierung zu beschleunigen?" wollte der Obergefreite Kreutzmann wissen. «Weshalb dürfen alte Nazis Mitglieder der neuen politischen Parteien werden?" Auch Gerber raffte sich zu einer Frage auf. «Wie will man Deutschlands Wirtschaft aufbauen, wenn das Ruhrgebiet internationalisiert wird?"
    Der Referent stotterte, geriet ins Schwimmen. Schließlich erlöste ihn der Veranstaltungsleiter, ein erfahrener Sozialdemokrat, von seinen Qualen: Die vorgesehene Zeit für die Aussprache sei überschritten, weitere Fragen könnten leider nicht zugelassen werden. Mit ein paar allgemeinen Bemerkungen beendete er die Veranstaltung.
    Gerber war schwer enttäuscht. Nicht nur von dem Referenten, auch von seinen Kameraden. Stumm, wie unbeteiligt, hatte die Masse der Zuhörer auf den Bänken gesessen. Waren sie zu faul zum Nachdenken, oder stak ihnen das Mißtrauen noch in den Knochen?
    Am nächsten Tag erhielt Gerber Besuch von Kreutzmann, dem Kommunisten. Beide hatten in der Aussprache eine Frage gestellt, wenn auch von unterschiedlicher Warte aus. Damit gehörten sie zu dem kleinen Kreis der politisch Interessierten, und Kreutzmann fand es ganz natürlich, sich ein wenig näherzukommen, Antwort zu finden auf die Fragen, die am Abend zuvor ungeklärt geblieben waren.
    Gerber nutzte die Gelegenheit, den anderen in Augenschein zu nehmen. Kreutzmann hatte die gedrungene Figur eines Athleten und kräftige Fäuste. Sein etwas grob geformtes Gesicht mit den wachen graublauen Augen verriet Energie, und energisch war auch seine Art zu sprechen. Was er sagte, klang meist so entschieden wie das letzte Wort einer Debatte.
    Gerbers Frage nach der wirtschaftlichen Zukunft, nach der Internationalisierung des Ruhrgebietes hatte der Referent unbeantwortet gelassen. Kreutzmann ging von der Konkurrenz zwischen Briten und Amerikanern aus. Die Monopole der USA waren

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