Irrfahrt
Stunde unbemerkt allein los. Tatsächlich fand er im Hafenbecken IV ein größeres Fahrzeug vor. Er brauchte eine Weile, bis er den mit Baugerüsten verkleideten, nur teilweise gestrichenen Koloß angesprochen hatte: Flugzeugträger «Graf Zeppelin».
Halbfertig, ohne Flugdeck und Geschütze, lag der Träger an der Pier. Für Atlantikunternehmungen war er vorgesehen, sollte Schlachtschiffe und Panzerschiffe bei ihren Vorstößen unterstützen, feindliche Geleitzüge aufklären und einen Luftschirm über dem Verband bilden. Doch das war längst vorbei. Nach dem Untergang der «Bismarck» wurde der Bau eingestellt.
Helmut verstand das nicht. Aus den Berichten über den Pazifischen Raum ging doch hervor, daß die Flugzeugträger im modernen Seekrieg eine ganz entscheidende Rolle spielten. Auch die Engländer besaßen solche schwimmenden Flugplätze. Und Deutschland hatte keinen einzigen aufzuweisen! Im Tonnagekrieg verließ sich die Seekriegsleitung allein auf die U-Boote. Das war vielleicht ein bißchen wenig, auf die Dauer. Immerhin, die Bedeutung der U-Boot-Waffe stieg dadurch enorm. «Meiner» U-Boot-Waffe, dachte Helmut, denn er fühlte sich schon voll zugehörig.
Viele praktische Übungen wurden auch an Land abgehalten. Die Männer mußten aus einem auf Grund gesunkenen Boot mit Hilfe des Tauchretters aussteigen. Koppelmann entsann sich, diese optisch sehr eindrucksvolle Übung in der Wochenschau gesehen zu haben. In voller Uniform kletterten die Männer in einen tiefen Schacht. Wasser wurde eingelassen, und mit aufgesetztem Gerät hangelten sie nun an langer Leine einer nach dem anderen mehr als zehn Meter hoch durchs Wasser. Im theoretischen Unterricht war ihnen genau erläutert worden, warum das Aufsteigen langsam zu erfolgen hatte und bis zu welcher Tiefe es möglich war.
Noch unbeliebter war das Rollen- und Störungsexerzieren. Das U-Boot lag dabei friedlich an der Pier. Für Zwecke der Schulung wurden al1e möglichen Zwischenfälle angenommen. Eine Serie Wasserbomben ließ man dicht neben der Bordwand explodieren. Um sie zu markieren, wurden außerhalb des Bootes kleine Sprengladungen zur Detonation gebracht. Ganz harmlos klang der schwache Knall im Bootsinnern, wie in der Wochenschau.
Zwei Mann waren verwundet und mußten verbunden werden, so gut es im engen Boot ging. Achtern drang Wasser durch das leckgeschlagene Heckrohr. Ein Trupp versuchte den Einbruch abzudichten. In einigen Abteilungen brannte plötzlich kein Licht mehr, ein Sprachrohr war ausgefallen, das Horchgerät versagte. Es war schrecklich. Die Männer hatten alle Hände voll zu tun, um die Schäden zu beseitigen.
Solange Spezialisten zur Verfügung standen, ging das noch halbwegs gut. Unangenehm wurde die Sache, wenn ausgerechnet alle Torpedomixer ausgefallen waren und blutige Laien die empfindlichen Aale ins Rohr schieben mußten. Kopfschüttelnd stand ein Ausbilder daneben. «Angenommen, euch läuft im Atlantik die vor die Rohre und ihr macht so einen Verhau ... »
In der Kantine kam es des öfteren zu Unterhaltungen zwischen den Ausbildern und ihren Schülern. Auf Dänholm wäre das unmöglich gewesen. Dort hatten die Unteroffiziere einen Extraraum, den die Rekruten unter keinen Umständen betreten durften.
Der Torpedomixer Maat Geilsdorf trug den goldenen Schild von Narvik. Freimütig erzählte er bei einem Glase Bier, was er damals erlebt hatte.
«Wie die bei dem Nebel überhaupt navigieren konnten, ist mir heute noch ein Rätsel. Ich war vielleicht froh, als wir in Narvik ankamen. Endlich wurden wir die blöden Stoppelhopser los, die bei uns mitfuhren. Wir haben uns gleich in die Messe gesetzt und einen gezischt. Auf einmal knallt's bei uns rein. Granaten, vom Tommy! Ich denk, ich werd verrückt... »
Ein Verband britischer Zerstörer war in den Hafen eingedrungen. Kein Posten hatte ihn bemerkt, kein Warnschuß wurde abgegeben, keine Sicherung lag vor der Hafeneinfahrt.
«Jungens, die haben uns vielleicht zusammengehauen! Ich kam gerade noch raus: bevor unser Kahn absoff. Dann mußten wir an Land mitmachen. Und ich keine Ahnung von Infanterie! In der Stadt hab ich mir schnell ein Paar hohe Stiefel gekauft. Jedenfalls waren wir heilfroh, als der Zinnober vorbei war...»
Koppelmann glaubte seinen Ohren nicht zu trauen. Mangelnde Wachsamkeit? Bei der Kriegsmarine? Unglaublich! Das Heldenlied von den ruhmreichen Kämpfen um Narvik war unzählige Male gesungen worden. Aber so wie bei Geilsdorf, in Schiß-Moll,
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