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Irrfahrt

Irrfahrt

Titel: Irrfahrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Grümmer
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fünf Jahre älter.
    Helmut hatte in Lorient einen Stapel Post vorgefunden. Sorgfältig, wie das seine Art war, schnitt er die Briefe auf und sortierte sie nach dem Absender. Immer schön der Reihe nach .,.
    Die Eltern schrieben, daß Helmuts Bruder trotz seines Magenleidens eingezogen war, zu einer Sanitätskompanie. Nun mußte der Vater die ganze Arbeit in der Apotheke allein bewältigen.
    Von Heinz Apelt lagen nur zwei Briefe vor. Was war los mit ihm, warum schrieb er so selten? Auch Gerhard hatte sich schon darüber aufgeregt. Pure Faulheit, meinte er. Helmut hatte dafür eine andere Erklärung: Heinz litt unter Minderwertigkeitskomplexen, weil er erst so spät zum Einsatz kam. Er wollte doch überall der erste sein.
    Helmut las die bei den Briefe sehr aufmerksam. Er spürte, daß sich der Freund verändert hatte. Sein forscher Ton wirkte aufgesetzt. Ich bin auch nicht mehr derselbe, dachte er. Die Kindheit ist vorbei.
    Die Lektüre von Gerbers seitenlangen Briefen nahm Stunden in Anspruch. Dabei hatte er gar nichts Besonderes mitzuteilen. Die Minenfischerei schien ein ödes Unternehmen zu sein. Fliegerangrif f im Hafen, Deckung im Splittergraben. Ach herrje! Helmut mußte lächeln. Da konnte er ganz andere Dinge erzählen. Merkwürdig! Jetzt, wo die Gefahr überstanden war, sah er vieles nüchterner. Aber nicht alles, nicht den untergehenden Tanker. Wie lange wird es wohl dauern, bis man dagegen abgestumpf t ist?
    «Endlich ein großer Erfolg», schrieb Gerhard. «Du glaubst gar nicht, wie stolz wir sind. Unsere Gruppe hat an einem einzigen Tag vier Minen geräumt. Eine davon war ganz eindeutig in unserem Gerät; eine zweite müssen wir leider mit unserem Rottenknecht teilen. Jedenfalls sind wir nicht umsonst auf See gewesen. Zwei Mann von der Besatzung haben sogar des EK II bekommen, der Steuermann und ein Sperrmechaniker. Für kleine Leute wie mich fällt natürlich nichts ab, aber ich bringe wenigstens das Abzeichen der Minensuchverbände mit nach Mürwik ... »
    Zärtlich betrachtete Helmut seinen Orden. Er versuchte sich vorzustellen, welch große Augen seine Freunde machen würden.
    Nicht alle Besatzungsmitglieder durften in Urlaub fahren. Thieme hielt Wort: Die Bestrafungen, die er aus nichtigen Gründen angekündigt hatte, erfolgten auch. Unbarmherzig mußte jeder seine Zeit absitzen. Was hatte der «alte Löwe» beim Abschied zu ihm gesagt? «Ich verlange von allen Besatzungen das Äußerste: freudige Hingabe, letzte Einsatzbereitschaf t und Härte!» Na also! Härte wird nur durch Härte erreicht.
    Für Helmut Koppelmann lag ein Dienstbrief bereit: Kommandierung zur Fähnrichschule. «Wenn es Ihnen lieber ist, geben wir Ihnen drei Wochen Urlaub», sagte ein Oberleutnant auf der Schreibstube. «Allerdings müßten Sie dann bis zum nächsten Lehrgang warten.»
    Helmut befand sich in der Zwickmühle. Der Heimaturlaub lockte, aber deswegen den Anschluß verpassen? Sich womöglich von gleichaltrigen Kameraden überrunden lassen, etwa von Gerber mit seinem kümmerlichen Pott? Ausgeschlossen! Der Lehrgang begann am 31. Oktober. Zog er die Reisetage ab, blieb ihm gut eine Woche.
    Der Oberleutnant war einigermaßen überrascht, mit weIcher Bestimmtheit Helmut Koppelmann seinen Urlaub verkürzte und um die Marschpapiere nach Flensburg bat.
     

 
    8. Kapitel
    Vermißt vor Malta
    Der Mittelmeerraum, seit dem Altertum ein Schauplatz erbitterter Machtkämpfe, war auch in diesem Krieg nicht ohne Bedeutung. Für Großbritannien war das Mittelmeer die kürzeste Verbindung zum Suezkanal und somit zu den erdölträchtigen Ländern des Vorderen Orients und den britischen Besitzungen in Südostasien, die von Japan bedroht wurden.
    Dieser Seeweg geriet in Gefahr, als Italien in den Krieg eintrat. Mussolini hatte sich erst am 10. Juni 1940 dazu entschlossen; er fürchtete, bei der Verteilung der Beute zu spät zu kommen. Immerhin war Frankreich die größte Kolonialmacht in Afrika.
    In dem Ziel, die Vorherrschaf t Englands im Mittelmeer zu brechen, waren sich Hitler und Mussolini einig. Nicht einigen konnten sie sich über die Aufteilung der Interessensphären in Nordafrika und auf dem Balkan. Als Mussolini nach der Kapitulation Frankreichs beträchtliche Gebietsforderungen erhob, traf er bei Hitler auf taube Ohren.
    Die HitIerregierung, die schon den Feldzug gegen die Sowjetunion vorbereitete, wollte in den neuen Kriegsschauplatz Mittelmeer nur begrenzte Kräfte investieren. Sie hoffte auf eine militärische

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