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Irrfahrt

Irrfahrt

Titel: Irrfahrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Grümmer
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Klasse bemühte sich ehrlich, diesem Ratschlag zu folgen.
    Kalles Steckenpferd war die Säuberung der deutschen Sprache von überflüssigen Fremdwörtern. Bei ihm hieß es nicht «Vierzylinder-Explosionsmotor», sondern «Vierkolben-Verpuffungstreibling».
    Direktor Gall zog ihn deswegen auf: «Der Usus fremdsprachiger Termini technici muß auf ein Minimum reduziert werden!» Kalle revanchierte sich auf der Stelle. «Nehmen wir als Beispiel den Satz: Die dümmsten Bauern haben die größten Kartoffeln. Ein klassisch gebildeter Mensch würde das etwa folgendermaßen ausdrücken: Das Volumen der Produkte der agrikultativen Bevölkerung ist indirekt proportional dem intellektuellen Niveau der Produzenten!» Damit war Kalle eindeutig erster Sieger.
    Der Austrag solcher Meinungsverschiedenheiten vor der Klasse führte dazu, daß die Schuldisziplin litt. Die meisten Schüler nutzten das weidlich aus.
    Dr. Scholz hielt sich für einen Deutschen von echtem Schrot und Korn. Trotzdem trat er nicht in die NSDAP ein, obwohl er mit ihrer Politik im wesentlichen einverstanden war. Mit Leuten wie Rämisch wollte er nichts zu tun haben. Überhaupt waren die Nazis für ihn viel zu kleine Leute, eben Plebejer. Göring ließ er gelten, weil er der Sohn eines höheren Beamten und ehemaliger aktiver Offizier war. Seine Prunksucht, über die viele «alte Kämpfer» den Kopf schüttelten, fand er dem Prestige des Großdeutschen Reiches angemessen.
    Seit Kriegsausbruch unterrichtete Kalle auch Turnen, offiziell als «Leibesübungen» bezeichnet. Brämmel mußte die Klasse zu Beginn der Stunde vorschriftsmäßig melden. Genußvoll schritt Kalle die Front ab. «In Linie zu drei Gliedern angetreten, marsch-marsch!» Liefen ihm die Schüler nicht schnell genug, wurde Strafexerzieren angesetzt.
    Die Zeiten beschaulicher Schulausflüge und Wandertage waren längst vorbei. Kalle veranstaltete große Geländespiele, die mit einer Lagebesprechung begannen. Einige Schüler wurden zu Bataillonskommandeuren und Kompanieführern ernannt. Jede Kompanie bestand aus vier Mann. Kalle fühlte sich als Chef des Generalstabs. Während er die Meldungen der Einheitsführer entgegennahm, handhabte er seinen Spazierstock wie einen Marschallstab. Den Abschluß bildete eine ausgiebige Manöverkritik. Da die Mitglieder der Heeresgruppe bereits Erfahrung im Geländespiel hatten, konnte Wolfram Diederich die größten Erfolge verbuchen.
    Im zweiten Kriegswinter geschah ein Mißgeschick: Brämmel fiel bei einer schwierigen Übung vom Reck und verletzte sich so schmerzhaft am Knie, daß er ins Stadtkrankenhaus gebracht werden mußte.
    Die Freunde besuchten ihn am Krankenbett. Brämmel deutete auf sein dick verbundenes Bein. Er war verzweifelt. Das Knie würde steif bleiben, hatte der Chefarzt gesagt. Gerhard versuchte ihn zu trösten, Brämmel aber blickte stumm vor sich hin. Sein Traum von einer Karriere als Offizier war ausgeträumt.
    Für den Flottenverein wendete sich Brämmels Unglück zum Glück: Heinz Apelt, einer der besten Sportler, rückte zum Klassen- und Riegenführer auf. Das bedeutete einen Machtzuwachs für die zahlenmäßig schwache Gruppe.
     
    Kuhlisch, ein grauhaariger Hüne mit lebhaften Augen, gab Unterricht in Geographie. Die Schüler nannten ihn Kuhle. Als junger Mann war er mit dem Fahrrad viel unterwegs gewesen. Er kannte Ungarn, Jugoslawien, Frankreich, Spanien und sogar einen Teil von Marokko.
    Kuhle würzte seinen Unterricht mit spannenden Erlebnissen. Mehrfach war er, wenn seine Berichte stimmten, dem Tode nur knapp entronnen. Die Schüler verehrten ihn grenzenlos. Kuhle war beinahe ein Held.
    Seine Ohrfeigen waren jedoch gefürchtet. Vor dem Schlag drehte er den blauen Stein seines großen Siegelringes nach innen. Noch in der Elf-Uhr-Pause war an dem tiefroten Fleck auf der Backe zu erkennen, wen Kuhles Zorn in der ersten Unterrichtsstunde getroffen hatte. Mancher ehemalige Schüler, der inzwischen zum Referendar oder Assessor aufgerückt war, hatte diese Ohrfeigen noch lebhaft in Erinnerung. Kuhle selbst bezeichnete sie zynisch als «deutsche Wertarbeit».
    Vor Jahren war an der Schule noch ein weiterer Lehrer tätig gewesen - Dr. Vetter. Er war Sozialdemokrat, hatte aktiv in der Partei mitgearbeitet und heftige Diskussionen mit Altnazis geführt. Als HitIer an die Macht kam, wußte er, daß seine Entfernung aus dem Schuldienst nur noch eine Frage der Zeit war. Er beschloß, mit fliegenden Fahnen unterzugehen.
    Bei einer Schulfeier sprach

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