Irrflug
Büros, um Ungereimtheiten aufzudecken. Einmal hatte er verwundert feststellen müssen, wer regelmäßig hinterm Steuer angeblicher Firmenwagen auf das Areal gefahren kam. Auf diese simple Weise waren gleich mehrere Großlimousinen und ein Porsche ins private Eigentum von Familienangehörigen der Manager zurückgestuft worden. Altmann hatte im Laufe der Jahre geradezu detektivische Fähigkeiten entwickelt. Er trat auch nie als der sture Beamte auf, sondern zeigte sich in den Gesprächen mit den Führungskräften der Betriebe zuvorkommend und freundlich. Im Grunde seines Herzens war er ein Finanzexperte, dem keiner ein X für ein U vormachen konnte. Das hatte auch dieser Steinke schon zu spüren bekommen. Auch für Altmann war es ungewöhnlich, wie atemberaubend schnell dieses Unternehmen expandierte. Das erinnerte ihn zwangsläufig an die dramatischen Pleiten, die in jüngster Zeit gerade in der Computerbranche zu beklagen waren. Steinke, das war den Büchern zu entnehmen, hatte schon frühzeitig damit begonnen, kleinere Betriebe aufzukaufen, um sich selbst an die Spitze der Branche zu bringen. Es schien so, als spiele er im gnadenlosen Verdrängungswettbewerb tatsächlich eine entscheidende Rolle.
Während er sich darüber Gedanken machte, blickte er auf das weitläufige Firmen-Areal hinaus, das sich am Rande dieses ehemaligen Militärgeländes befand. Vor ihm auf dem Schreibtisch lagen aufgeschlagene Aktenordner. Das Unternehmen hatte ihm zwar einen Computer zur Verfügung gestellt, ohne ihm jedoch den Zugriff auf die Firmendaten zu ermöglichen. Der Rechner diente nur dazu, die ihm übergebenen Datenträger öffnen zu können. Ihm waren, darüber ärgerte sich Altmann seit Langem, gesetzlich enge Grenzen gesetzt. Die ›Gegenseite‹, das hatte er oft schon seinen Vorgesetzten beklagt, bediene sich modernster Technologien, während er als staatlicher Prüfer noch auf dem Stand der letzten zwanzig Jahre verharren musste. Der Gesetzgeber hatte einfach nicht mit der Entwicklung Schritt gehalten. Aber dieses Los teilte Altmann auch mit seinen Kollegen von Polizei und Staatsanwaltschaft. Das Klopfen an der Tür brachte ihn wieder in die Realität zurück.
Vor ihm stand der Vorstandsvorsitzende persönlich. Lächelnd, der Optimist in Person, dachte sich der Beamte und stand höflichkeitshalber auf.
„Behalten Sie Platz”, sagte Frederik Steinke, schloss die Tür hinter sich und setzte sich an den seitlich zu einer Arbeitsplatte abgerundeten Schreibtisch.
„Entschuldigen Sie, wenn ich Sie so störe”, begann Steinke, als sei er nicht der erfolgreiche Boss, sondern ein Mitarbeiter, der um eine Gehaltserhöhung bat.
„Sie stören mich überhaupt nicht”, entgegnete Altmann und schob die Akten zur Seite, um sich zwischen ihm und Steinke eine freie Arbeitsfläche zu schaffen.
„Ich hab’ mir nach unserm Gespräch von heute Morgen überlegt, dass wir uns das Leben gegenseitig so einfach wie möglich machen sollten. Vielleicht wäre es sinnvoll, wenn wir uns, sozusagen unter vier Augen, über die Gepflogenheiten in der Computerbranche unterhalten, die ihre, sagen wir es mal so, eigenen Gesetzmäßigkeiten hat.”
Altmann lächelte. „Das hat jede Branche”, stellte er sachlich fest, „kein Fall ist wie der andere, aber ich nehme mir gerne die Zeit, wenn Sie Ihre betriebsspezifischen und vielleicht auch internen Vorgehensweisen darlegen wollen.”
„Ja, es ist mir ein gewisses Bedürfnis”, fuhr Steinke fort, der sich wieder über die Ärmel seines hellen Lederjacketts strich. „Möchten Sie einen Kaffee?”
Altmann lehnte dankend ab.
„Sie sollten einfach wissen”, kam Steinke dann zur Sache, „die Computer-Branche, und da meine ich natürlich nicht die Hardware, sondern die Software, ist global tätig. Wir stehen in Konkurrenz zu großen und kleinen Unternehmen überall auf der Welt. Bis hin zu dem Hinterhof-Programmierer in seiner Hütte in Indien, der zu Tiefstpreisen Programme schreibt und sie via Internet seinen Auftraggebern versendet. Wissen Se, Herr Altmann, die Sache mit der ›Green Card‹, dass man sich hierzulande also Computer-Spezialisten aus Indien herholt, ist doch kalter Kaffee. Die Leute können bleiben, wo sie sind. Bei der weltweiten Datenvernetzung spielt das nämlich nicht die geringste Rolle“.
Altmann nickte verständnisvoll. Er selbst hatte sich ohnehin seit Langem schon gefragt, weshalb die Firmenchefs noch immer darauf bestanden, dass allmorgendlich die Mitarbeiter eine
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