Irrflug
Kriminalisten schüttelten allesamt die Köpfe. Der Beamte am Fenster erklärte: „Nein, obwohl doch eigentlich ein abgestelltes Auto auf der einsamen Steige aufgefallen sein müsste.” Er machte eine Pause, überlegte und fuhr fort: „Na ja, wer so etwas plant, lässt sein Auto auch nicht gerade am Straßenrand stehen.”
„Wir haben’s sicher nicht mit einem Anfänger oder einem Stadtschlamper zu tun”, bekräftigte ein anderer Kollege, „das zeigt allein schon sein Vorgehen am Computer. Wer da nicht zielgerichtet vorgeht, sondern nur in aller Eile irgendetwas rumpfuscht, kann niemals so gründlich sein.”
„Ach”, entfuhr es Linkohr und schaute diesem Kollegen aufmerksam ins Gesicht, „dann geht ihr davon aus, dass es ein …”, er suchte die passende Formulierung, „… dass es ein Computerfachmann war?”
Die Kriminalisten blickten sich gegenseitig an. Einer meinte: „So würde ich das formulieren, ja. Eine gewisse Ahnung von der Systemsteuerung und der Funktionsweise des Computers muss vorhanden gewesen sein.”
„Aber das”, so dämpfte ein anderer die allzu großen Hoffnungen Linkohrs, „das hat doch heutzutage jeder Fünfzehnjährige. Schauen Sie doch mal in die Kinderzimmer rein, was da herumsteht. Ganze Computer-Schaltzentralen. Da sind wir alle zusammen, was diese Technik anbelangt, doch Waisenknaben.”
Linkohr dachte für einen kurzen Moment darüber nach, ob die Schritte, die sie gestern Abend hinterm Haus von Frau Pulvermüller gehört hatten, auch einem Jugendlichen hätten zugeordnet werden können.
„Ach ja”, warf einer der Kollegen dazwischen, „die Pulvermüller ist jetzt eindeutig identifiziert. Ihre Schwester war da.”
Steinke schwitzte. Er hatte sich inzwischen von seiner Sekretärin eiskaltes Mineralwasser und zwei Gläser bringen lassen. Der Jurist wischte sich mit einem Stofftaschentuch den Schweiß von der Stirn, während der Firmenchef zum wiederholten Mal zu seinem Schreibtisch ging und am Telefon Rottlers Handy-Nummer drückte. Doch immer wieder ertönte nur die Mailbox, was ihn erzürnte.
„Vielleicht”, so begann der Jurist vorsichtig und versuchte das, was er sagen wollte, bereits im Vorfeld abzuschwächen, „vielleicht, ich stell’ das mal nur so in den Raum, vielleicht sollten wir darüber nachdenken, die Angelegenheit mit einer Selbstanzeige aus dem Weg zu räumen.”
Steinke hatte sich noch nicht gesetzt, sondern war wie vom Blitz getroffen hinter der Lehne seines Stuhles stehen geblieben, an die er sich nun zu klammern schien.
„Was sagen Sie da?”, wiederholte er, als ob er nicht verstanden habe, was sein Anwalt gesagt hatte. Der Jurist blieb ruhig und schaute seinem Mandanten fest ins Gesicht.
Dieser schoss um den Stuhl herum und trat dicht an den Tisch heran: „Wisset Sie überhaupt, was Sie da saget?” Er schluckte, „ich bezahl’ Sie, damit Sie mir helfat, aus dieser Klemme rauszukomma! Und Sie empfehlet mir, mich denne Staatsanwält’ zum Fraß vorzuwerfa.” Das Blut schoss ihm in den Kopf. „I bin ein rechtschaffener Bürger en diesem Land. Bin nie, niemals, der Allgemeinheit zur Last g’falle”, schrie er und ging um den Tisch herum, „guckat Se naus auf d’Straß, da lungern se rum – die Schlamper, die unsereiner unterhält. Ond dann kommt so ein Sesselfurzer, der monatelang bei mir rumfaulenzt, ond haut mich in die Pfanne.”
Der Jurist hatte im Laufe der Zeit schon mehrere solche Ausbrüche Steinkes erlebt. Dann empfahl sich vornehme Zurückhaltung, um nicht in die direkte Schusslinie zu geraten.
„Was wollat Sie mir denn vorwerfe?”, tobte Steinke wenig vornehm weiter und schloss die Fenster, „dass ab und zu Geld von meinem Konto abg’hoba wurde? Mein Geld, mein verdientes und schon mal versteuertes, ja zwei-, drei-, viermal versteuertes Geld!” Er holte tief Luft und ließ sich in seinen Schreibtisch-Sessel fallen, „wissat Sie was, ich verkauf’ den Bettel, ich mach’ mir a schön’s Lebe, irgendwo, wo’s kein’ so’n Abzocker-Staat gibt. Dann kann der Staat meine fuffzehnhondert Ang’stellte verhalta.” Und er schrie plötzlich: „Noch heut’ verkauf i.”
Danach kehrte schlagartig Ruhe ein und Steinke lehnte sich erschöpft zurück.
„Herr Steinke”, begann der Anwalt mit seiner sonoren Stimme, „was Sie da sagen, dem pflichte ich Ihnen hundertprozentig bei. Nur wird uns dies nicht weiterbringen. Wir müssen einigermaßen plausibel erklären, wohin die elf Millionen Euro geflossen
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