Irrliebe
offensichtliche Verbindung zwischen Pierre Brossard und Franziska Bellgardt zu unterrichten und zugleich diesen vermisst zu melden.
Gegen Mittag dieses verregneten Tages erschien Marie mit der Architektin, von Stephans Rivalen Löffke beobachtet, in Stephans Büro. Er saß über Bücher gebeugt an einem Fall, dessen erfolgreiche Lösung ein willkommenes hohes Honorar versprach, Stephan jedoch mit unüberwindbar erscheinenden juristischen Fallstricken zu konfrontieren schien. Seit seinem Ausstieg aus der renommierten Kanzlei Dr. Hübenthal war es Stephan verwehrt, sich bei der Lösung juristischer Probleme des fachlichen Austauschs mit den anderen Anwälten der früher gemeinschaftlichen Kanzlei zu bedienen. Stephan Knobel hatte ein Büro in der Mansarde des herrschaftlichen Kanzleigebäudes angemietet, rechnete Nebenkosten und die anteilige Nutzung des Büroequipments über eine Pauschale ab, durfte aber nicht auf die gut ausgestattete Präsenzbibliothek der Kanzlei zurückgreifen, an deren Mitnutzung Stephan bei Abschluss des Bürogemeinschaftsvertrages fahrlässig nicht gedacht hatte und nach Hubert Löffkes Interpretation dieses Vertrages auch nicht erfasst sein sollte. Stephan blieb bei der Lösung seiner Fälle auf sich gestellt und wähnte sich des Lauerns des in seinem Wesen hyänenhaften und körperlich bulligen Kollegen Löffke sicher, der argusäugig beobachtete, welche Mandanten zu Stephans Büro in die Dachgeschossmansarde emporstiegen. Und so erschien Hubert Löffke kurz vor Marie und Dominique Rühl-Brossard keuchend in Stephans Büro, nachdem er die Stufen hinaufgelaufen war und mit unüberhörbar vorwurfsvollem Ton fragte, was Frau Rühl-Brossard in Knobels Büro zu suchen gedenke. Stephan, sonst über Löffkes gewohnt plumpes und überfallartiges Eindringen in seinem Büro verärgert, war nur darüber verwundert, dass Löffke Frau Rühl-Brossard kannte.
»Sie und ihr Mann haben damals hier ihren Ehevertrag beurkundet. Das war noch vor Ihrer Zeit, Knobel«, erklärte Löffke väterlich nachsichtig. »Soweit ich weiß, haben sie nur vereinbart, dass für die Rechtswirkungen ihrer Ehe deutsches Recht gilt. Der Mann ist doch Franzose geblieben, und da war es der Dame wichtig, dass man im Falle des Falles sich über deutsches Recht trennt und scheidet. Mehr konnte sie wohl nicht durchsetzen. Sie hatten also nichts geregelt, etwa, dass keiner von dem anderen etwas bekommt, wenn man auseinandergeht. Brossard ist nämlich ein harter Knochen. Jedenfalls hat sie damals auch die ganzen Architektenmandate über uns abgewickelt. Danach ist sie zu irgendeiner anderen Kanzlei an der Düsseldorfer Königsallee gewechselt. Leute wie Madame Rühl-Brossard brauchen so etwas«, wusste Löffke und machte eine abfällige Handbewegung. »Wundert mich, dass sie überhaupt in Dortmund wohnen blieb«, fügte er verächtlich an.
Löffke baute sich wie ein gestrenger Lehrer in Stephans Büro auf, drückte den Rücken durch und stemmte seine Hände in die Hüften.
»Jetzt sagen Sie nicht, Sie haben diese Frau als Mandantin eingefangen, Knobel …«
Stephan blickte Löffke ungerührt an.
»Madame hat Kohle und immer wieder attraktive Mandate«, sagte Löffke. »Können Sie denn mit komplizierten Architektenverträgen überhaupt etwas anfangen?«, forschte er nach. »Solche Mandate wollen doch gut bedient werden, Knobel!«
Stephan lächelte unverbindlich und wollte gerade antworten, als Marie mit ihrer Begleiterin in sein Büro trat. Löffke drückte sich vorbei, so gut er es vermochte, und grüßte Frau Rühl-Brossard mit formvollendeter Höflichkeit, als wollte er signalisieren, dass er mit Frau Rühl-Brossards Abkehr von seiner Kanzlei professionell umzugehen wisse.
Stephan stand auf, begrüßte beide und nahm Frau Rühl-Brossard ihren Regenschirm ab, den er in den altmodischen Ständer neben der Tür stellte.
Marie und Dominique setzten sich vor Stephans Schreibtisch. Frau Rühl-Brossard mochte Mitte 50 sein, hatte kurze graue naturkrause Haare und ein blasses Gesicht mit auffallend straffer Haut. Ihre Augenbrauen waren dunkel gefärbt und traten hinter der dunklen Hornbrille zurück, die ihrem Gesicht eine auffallende Strenge verlieh. Die Architektin trug einen violetten Hosenanzug, eine weiße altmodisch anmutende Bluse und schwarze elegante Lederschuhe. In ihrer ganzen Erscheinung bildete sie einen auffallenden Kontrast zu Marie, die, obwohl 28, ihre Jugendlichkeit zu bewahren schien und mit den in ihrem
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