Irrliebe
sind raus. Habe alles klar gemacht.« Er schlug entspannt die Beine übereinander.
»Haben Sie sie auf den Termin mit Ylberi vorbereitet?«, fragte Stephan nüchtern.
»Ich weiß im Groben, worum es geht«, antwortete Löffke generös. Er blickte versonnen auf die auf seinem Tisch stehenden leeren Gläser, in denen Latte Macchiato serviert worden war. Auf dem kleinen Silbertablett lag noch etwas von dem feinen englischen Gebäck. Löffke beugte sich vor, wählte verzückt aus und führte ein Stück mit spitzen Fingern genussvoll in den Mund. »Sie wissen doch, dass die Staatsanwaltschaft alles beweisen muss«, sagte er mit gefüllten Backen. »Also wird meine Mandantin alle Fragen, deren Antwort sie belasten könnte, erst gar nicht beantworten. Ich rate sowieso immer dazu, nichts zu sagen. Wer nichts sagt, sagt nichts Falsches, also macht er auch nichts falsch. Das gilt für alle Strafverteidigungen.« Dann zog er wieder an der Zigarre.
»Ist das Ihre Taktik?«, wunderte sich Stephan. »Der Fall ist überaus kompliziert.«
»So kompliziert, dass er Sie überfordert hat, Knobel«, diagnostizierte Löffke arrogant. »Bei der Gräfin muss man klotzen. Also schlage ich voll drauf.«
»Das heißt?«, forschte Stephan.
»Ich fertige eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den Staatsanwalt an«, verkündete Löffke stolz.
»Weshalb?«
»Weil er mit seiner Herrenart Madame Rühl-Brossard auf die Nerven geht. Der gute Mann scheint ein bisschen überengagiert. Man bestellt eine Frau Rühl-Brossard nicht einfach ein. Das macht man im Übrigen auch nicht als Anwalt mit Klientel dieses Formats«, belehrte Löffke.
»Es geht um ein Verbrechen«, hielt Stephan dagegen. »Ylberi macht nichts falsch. Und es sollte in Dominiques eigenem Interesse sein, die Wahrheit ans Licht zu bringen.«
»Es geht ums Geschäft, Knobel«, korrigierte Löffke. »Das wollen Sie einfach nicht lernen. Rechtlich richtig ist, was Geld bringt. Und auf Befindlichkeiten lasse ich mich ein. Ich bin doch sensibel, Knobel. Eine Frau Rühl-Brossard ist eben très fragile.« Er verdrehte kokettierend die Augen.
»Die Gräfin«, merkte Stephan gedehnt und zynisch an.
»Nein, die renommierte Architektin Dominique Rühl-Brossard«, stellte Löffke richtig.
16
Stephan ärgerte sich, Löffkes Büro überhaupt aufgesucht zu haben. Was war anderes zu erwarten gewesen als dessen selbstverliebtes Resümee, alles richtig gemacht zu haben. Löffkes Triumph war gepaart mit der unverhohlenen Freude, Stephan das Mandat abgejagt und mit Frau Rühl-Brossard eine Auftraggeberin zurückgewonnen zu haben, die sich einst von der Kanzlei Hübenthal abgewandt hatte. Alle Gründe, die sie damals bewogen hatte, sich neu zu orientieren, waren offensichtlich bedeutungslos geworden und schienen sich unter dem Eindruck der schmeichelnden Worte eines Hubert Löffke in Luft aufgelöst zu haben. Stephan half wenig, dass er im Vergleich zu Löffke der bessere Jurist sein mochte. Entscheidend war, dass Löffke mit seinen häufig plumpen und über die Stränge schlagenden Prahlereien bei vielen Mandanten gut ankam und auf diese Weise in eigener Person spiegelte, was die Welt der Geschäfte ausmachte: Vordergründiger Erfolg, Entschlussfreudigkeit und Kampfeswille, verbunden mit Schaumschlägerei. Während Stephan mit Löffke geredet hatte, war eine SMS auf seinem Handy eingegangen: Kommen Sie heute Abend zum Bahnhof Kurl. Treffen uns um 22.30 Uhr auf dem Bahnsteig. Gruß, Ylberi.
Stephan parkte sein Auto um Viertel nach zehn vor dem von der Bahn aufgelassenen Gebäude des Kurler Bahnhofes. Das ursprünglich für eine Vorortstation recht repräsentative Haus aus der Gründerzeit war seit Jahren seines ursprünglichen Zwecks entledigt. Die Fenster waren mit Holzplatten zugenagelt, die Wände mit Graffiti besprüht und die Eingangshalle, durch die hindurch der Zugang zu einem kurzen Fußgängertunnel und von dort über eine Treppenanlage hinauf zu dem Mittelbahnsteig zwischen den beiden Gleisen führte, stank nach Erbrochenem und Urin. Marie und Stephan waren übereingekommen, dass sie nicht mitkam, weil nicht abzuschätzen war, ob Ylberi Maries Anwesenheit gewollt hätte. Die Uhrzeit entsprach derjenigen des Zeitpunktes, als Franziska am 23. Oktober tödlich vom Zug erfasste wurde, und war von Ylberi sicher nicht zufällig ausgewählt worden.
Stephan durchschritt den schwach beleuchteten Fußgängertunnel. An seinem Ende führten zwei entgegengesetzt angeordnete Treppen
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