Irrliebe
vorzubereiten.
»Sie wissen so viel oder so wenig wie ich oder Ihre kleine Freundin, die sich einen Ausflug nach Paris gegönnt hat und sich von mir dort nicht einmal verabschiedet, geschweige denn für meine Gastfreundschaft bedankt hat«, sagte sie barsch.
»Das tut mir leid, aber Marie sagte, Sie hätten noch geschlafen.« Er unterdrückte die Anmerkung, dass Dominique infolge ihres Alkoholkonsums am letzten Sonntagmorgen nicht ansprechbar gewesen wäre.
»Marie ist gewiss nicht undankbar«, setzte er versöhnlich hinzu und ärgerte sich, Dominiques Allüren zu bedienen. Er wusste, dass sie mit Menschen nach Belieben spielte, Abhängigkeiten schuf und ausnutzte und der von ihr erzwungenen Nähe kalte Zurückweisung folgen ließ. Dominique suchte Statisten und lebte von ihnen. Sie umgab sich mit Menschen, die sie bestätigten. Dass Marie vorschnell abgereist und sich Dominique nicht unterworfen hatte, traf sie, und der Umstand, dass Stephan sie förmlich in sein Büro bestellt hatte, erzürnte sie. Dominique fühlte sich nicht umworben. Also fühlte sie sich missachtet.
»Ist das so?«, fragte Dominique spitz zurück und musterte Stephans Büro. Sie verzog die Lippen zu einem kalten Lächeln.
»Hatte ich tatsächlich noch geschlafen?«, fragte sie rhetorisch und fixierte das kleine Fenster seines Büros. »Sie sollten vor Wintereinbruch das Fenster abdichten, Herr Rechtsanwalt. Was Sie sich hier leisten, ist der Baustandard aus der Mitte des letzten Jahrhunderts.«
Stephan spürte ihre Feindseligkeit, ihre demonstrierte und zur Waffe gewordene Kälte.
»Frau Rühl-Brossard …«, setzte er einladend an.
»Non!«, blitzte sie zurück. »Ich habe Sie nicht zuletzt deshalb als Anwalt gewählt, weil ich aus dem gefälligen, interessierten Wesen Ihrer Freundin geschlossen habe, dass Sie in gleicher Weise strukturiert sind. Aber ich habe mich offensichtlich sowohl in Ihnen als auch in Ihrer Freundin geirrt. Was ich sagen will: Ich erwarte, dass Sie – und nicht ich! – die offenen Fragen beantworten, Herr Knobel! Dafür bezahle ich Sie!«
Stephan verstand die Signale zu deuten. »Ich handele nur in Ihrem Interesse«, versicherte er und bediente sich der Worte, die er zu gebrauchen pflegte, wenn das Vertrauen des Mandanten zu ihm schwand, ohne dass er dafür einen Anlass gegeben hatte.
Er bat Frau Rühl-Brossard, Platz zu nehmen, doch sie zog es vor, stehen zu bleiben.
»Ich werde nicht lange bleiben, Herr Knobel, d’accord ? – Fragen Sie, dann werde ich entscheiden.«
»Was entscheiden?«, fragte Stephan irritiert.
»Ob ich mich weiter von Ihnen vertreten lasse, Herr Knobel. Ich habe mir nichts zuschulden kommen lassen. Also gibt es kein Gespräch mit dem Staatsanwalt vorzubereiten. Wenn Sie eine solche Vorbereitung für erforderlich halten, haben Sie Zweifel an mir. Also sind Sie nicht der Richtige.«
»Dann müssen wir uns trennen«, erwiderte Stephan trocken und überspielte, dass ihn ihre Worte bestürzten.
»Verstehen Sie mich nicht falsch«, sagte sie unerwartet weich. »Ich weiß, wovon ich spreche. Wenn ich in meinem Beruf mit Menschen umgeben würde, die alles hinterfragen und nicht bedingungslos hinter mir stehen, stünde ich heute nicht da, wo ich bin. Es gibt unverrückbare Parameter des Erfolges.«
Sie trat vor und reichte Stephan die Hand. Er war von der plötzlichen Trennung überrascht und suchte nach korrigierenden vermittelnden Worten, wollte sich erklären und um Vertrauen werben. Ihm stach ins Bewusstsein, dass er dieses Mandat wirtschaftlich brauchte und fürchtete, es leichtfertig verspielt zu haben. Es schadete, zu direkt zu sein.
»Irgendwann werden Sie mich verstehen, Herr Rechtsanwalt«, belehrte sie ihn aus dem Schatz ihrer reichen Lebenserfahrung. »Ich brauche einen Anwalt, der keine Fragen stellt, sondern sie beantwortet. Erstellen Sie Ihre Rechnung und schicken Sie sie mir nach Hause. Es wird keine Schwierigkeiten geben.«
»Ich werde das Mandat niederlegen«, bestätigte Stephan matt. Es verletzte ihn, wie sie ihn gönnerhaft abservierte. »Aber Sie sollten sich unbedingt einen Anwalt nehmen, Frau Rühl-Brossard! Es kann sein, dass der Staatsanwalt unangenehme Fragen stellt. Sie sollten vorbereitet sein.«
»Werde ich«, versicherte sie. »Ich habe schon einen Termin vereinbart.«
Es war offensichtlich, dass sich seine Mandantin schon gegen Stephan entschieden hatte. Warum hatte sie das Mandat nicht telefonisch gekündigt? Es wäre weniger demütigend
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