Irrliebe
wie er ihn beobachtet hatte und von seiner Behauptung, dass Franziska, bis auf ihre häufige verspätete Rückkehr von der Spätschicht und dem Wochenende an der Mosel, nicht längere Zeit fortgeblieben sei.
Ylberi sah Stephan überrascht an.
»Aus diesem Daniel werden wir nicht schlau. Warum erzählt er uns das nicht?«
»Vielleicht will er verdrängen, dass ihn Franziska verlassen wollte«, meinte Stephan. Wie es aussieht, verbannt er Franziska jetzt aus seinem Leben. Wie es aussieht, hat er schon das gemeinsame Bett in den Sperrmüll gegeben.«
Sie schwiegen eine Weile.
»Glauben Sie, dass Daniel als Täter in Betracht kommt?«, fragte Stephan.
»Wir haben ihn sofort überprüft, insbesondere, nachdem wir erfuhren, dass Franziska einen neuen Partner suchte. Aber Daniel scheidet als Täter aus. Er war zum Tatzeitpunkt zweifelsfrei in einer Spielhalle in der Münsterstraße, die er häufiger aufsucht. Er ist ein skurriler Typ, aber harmlos. Und er ist kein Stratege, der ein raffiniertes Verbrechen planen könnte. Es gibt keine einzige Spur, die für seine Täterschaft spricht. Wir schließen ihn aus.«
Sie traten fröstelnd auf der Stelle. Der Regen zog in die Kleidung. Keiner wollte unter die Dächer der düsteren Wartehäuschen.
»Warum erzählen Sie mir das, Herr Ylberi, und warum haben Sie mich überhaupt hierher gebeten?«
Der Staatsanwalt verschränkte die Arme und grinste.
»Sie sind raus aus dem Fall, Herr Knobel. Ihr Kollege Löffke hat Sie abgelöst. Ich bekam heute Nachmittag sein wortgewaltiges Fax. Und da Sie jetzt unbefangen sind, tausche ich mich umso lieber mit Ihnen aus. Sie sind jetzt frei. Sie haben einen Bezug zum Fall und über Ihre Freundin einen Einblick in den Charakter von Franziska, der mir helfen kann. Ich sauge Sie aus, Herr Knobel, seien Sie also vorsichtig!« Er lachte.
»Ich habe Frau Rühl-Brossard gut vertreten«, verteidigte Stephan. »Ich war ihr offensichtlich nur nicht aggressiv genug. Insbesondere Ihnen gegenüber.«
»Ich weiß«, sagte Ylberi gelassen. »Sie sollen die Dame auch nicht verraten, Herr Knobel. Aber ich vermute, dass Sie ihr die richtigen Fragen gestellt haben, Herr Knobel. Warum wird sie sich sonst von Ihnen getrennt haben? Was meinen Sie?«
»Ich konnte die Fragen nicht einmal stellen«, hielt Stephan dagegen.
»Aber Dominique wusste, dass Ihre Fragen kommen werden«, war sich Ylberi sicher. »Und ich bleibe dabei, dass sie in irgendeiner Weise über diese merkwürdige Chiffre-Geschichte in Franziskas Tod verstrickt ist. Ich denke, Sie sind für eine Dominique Rühl-Brossard zu kritisch, Herr Knobel«, wagte sich Ylberi vor. »Vielleicht sind Sie an dieser Stelle nicht der geborene Anwalt.«
Stephan fielen sofort Löffkes Worte ein.
»Sie gelten in Löffkes Augen als – sagen wir – übereifrig«, erwiderte Stephan. »Er will Dienstaufsichtsbeschwerde einlegen.«
»Hat er schon«, winkte Ylberi ab. »Das Hündchen bellt nur. Wir wissen doch, dass er damit nicht durchdringt. Im Übrigen hat er auch bereits angekündigt, dass seine Mandantin nicht zur Vernehmung kommen werde. Sie sei nicht vernehmungsfähig. Das Attest will er nachreichen. Es soll ein neuer Termin gemacht werden. Lächerlich! Sie hätte den Verdacht gegen sich zerstreuen können. Dabei will ich sie zunächst nur als Zeugin vernehmen. Dass Sie das nicht will, weiß ich zu werten. Sie macht sich durch ihr gesamtes Verhalten immer verdächtiger, Unschuldsvermutung hin oder her.«
»Warum ermitteln Sie selbst?«, fragte Stephan. »Von Anfang an sehe ich nur Sie und nicht die Polizei. Vielleicht ist es das, was Löffke reizt.«
»Die Staatsanwaltschaft ist die Herrin des Vorverfahrens, § 160 der Strafprozessordnung, das wissen Sie doch. Es gab in letzter Zeit häufiger Suizide auf Bahnstrecken. Der Vorstand der Bahn ist sensibilisiert und der Leitende Oberstaatsanwalt in Dortmund hat Bahnleichen zur Chefsache gemacht. Es gibt immer wieder Delikte oder Unglücke, die im Fokus stehen. Mal sind es die Graffitisprüher, dann die Hundebisse in den Erholungsparks. Unser Leitender Oberstaatsanwalt hat ein Näschen dafür, was die Öffentlichkeit gerade besonders erregt. Im Moment haben Todesfälle auf Bahngleisen Konjunktur. Unser Chef wünscht, dass die Staatsanwaltschaft in all diesen Fällen sofort präsent ist. Und hier erscheint es mir in der Tat besonders angebracht, denn es deutet nichts auf einen Suizid hin, mit dem wir es in diesen Fällen häufig zu tun haben. Ich ermittle
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