Irrwege
soll ich
sagen, anderweitig beschäftigt.« Seine Stimme hatte einen ominösen Unterton.
»Dann wirst du warten müssen«, beschied ihn
Marit. »Haplo läuft dir nicht weg.«
»Glaubst du das wirklich?« Sang-drax warf ihr
einen mitleidigen Blick zu. »Glaubst du, er bleibt brav in seiner Zelle sitzen
und wartet darauf, daß man ihn zur Schlachtbank führt? Nein, Haplo hat einen
Plan, sei dessen versichert. Ich wiederhole, ich muß ihn in Gewahrsam nehmen,
sofort!«
Marit wußte nicht, was sie glauben sollte, aber
eins stand fest: Sang-drax mit seinem Ansinnen kam ihr höchst verdächtig vor.
»Ich spreche mit meinem Gebieter«, sagte sie entschlossen. »Seinen Anweisungen
werde ich Folge leisten. Wo kann ich dich finden?«
»Keine Sorge, Patryn. Ich werde dich zu finden
wissen.« Sang-drax wandte sich ab und ging die verlassene Straße hinunter.
Was führte er im Schilde? Marit glaubte nicht,
daß Xar ihn geschickt hatte, und auch nicht seinen Andeutungen, der Fürst sei
in Bedrängnis.
Sie wollte sehen, wohin er ging; herausfinden,
was er vorhatte.
Der falsche Patryn bog um eine Häuserecke. Er
achtete darauf, bemerkte Marit, sich im Schatten zu halten. Anderen Patryn
wich er aus. Es begegneten ihm nicht viele. Dieser Teil der Stadt, nahe der
Mauer, war kaum mehr bewohnt. Die Gebäude hier waren älter, vermutlich
stammten sie aus der Zeit, bevor die Mauer errichtet wurde, und dienten
inzwischen als zusätzliches Bollwerk. Die Drachenschlange konnte sich kein
besseres Versteck wünschen.
Doch wie war Sang-drax in die Stadt gelangt?
Wachen standen auf den Zinnen und am Tor. Ihre Magie wies jeden heimlichen
Eindringling zurück, es sei denn, er besäße unvorstellbare Macht. Aber
Sang-drax war hier, und offenbar hatte bislang niemand Verdacht geschöpft,
andernfalls hätte es Alarm gegeben.
Der Dorn des Zweifels bohrte sich in Marits
Bewußtsein. Wie mächtig war die Drachenschlange? Sie hatte stets angenommen, die
Kreatur besäße keine ernstzunehmenden magischen Kräfte. Die Patryn sind die
stärkste Macht im Universum – das war es doch, was Xar nicht müde wurde zu
wiederholen.
Dem Bösen anheimgefallen, hatte Haplo gesagt.
Marit verdrängte den Gedanken an Haplo.
Sang-drax bog in eine Sackgasse ein. Marit blieb
an der Einmündung stehen, um nicht in eine Falle zu tappen. Der falsche Patryn
schien sich auszukeimen, er ging unbesorgt weiter.
Marit huschte zur gegenüberliegenden Seite und
verbarg sich in einem Türeingang, von wo aus sie alles im Auge behalten
konnte, ohne selbst gesehen zu werden.
Die Drachenschlange warf hin und wieder einen
Blick über die Schulter, aber nur flüchtig, ohne Interesse. Etwa in der Mitte
der Gasse blieb Sang-drax stehen und schaute sich genauer um. Dann trat er in
einen dunklen Hauseingang und war verschwunden. Marit wartete gespannt, um
sicher zu sein, daß er nicht wieder herauskam.
In der Gasse rührte sich nichts. Aber sie hörte
Stimmen, gedämpft und undeutlich, aus dem Gebäude, in das Sang-drax
hineingegangen war.
Marit zeichnete einige Sigel in die Luft.
Nebelschwaden trieben die Gasse hinunter. Sie faßte sich in Geduld und ließ
den Zauber langsam wirken. Das plötzliche Auftauchen einer dichten Nebelwand
wäre zu verdächtig gewesen.
Als die Umrisse des einstöckigen, quadratischen
Hauses nicht mehr auszumachen waren, setzte Marit sich in Bewegung. Sie hatte
sich ihr Ziel eingeprägt – ein Fenster an der Vorderseite des fraglichen
Gebäudes.
Nur jemand, der in der Gasse stand und nach ihr
Ausschau hielt, hätte sie bemerkt. In dem düsteren Grau war sie nur ein vager
Schatten, erkennbar lediglich durch das schwache Leuchten der Runen an ihren
bloßen Händen und Armen.
Neben dem Fenster drückte sie sich an die
Hauswand und riskierte einen Blick nach drinnen.
Ein kleines, kahles Zimmer. Als ehemalige
Nomaden hatten die Patryn nichts übrig für Möbel in ihren Behausungen, Tische
und Stühle. Matten zum Sitzen und Pritschen zum Schlafen – mehr hielt man
nicht für erforderlich.
Sang-drax stand mitten in dem leeren Raum und
sprach mit vier anderen Patryn – die keine Patryn waren, wie Marit auf einen
Blick erkannte. Zwar konnte sie die Runenzeichen nicht deutlich sehen, wegen
des Nebels draußen war es im Haus ziemlich dunkel geworden, aber schon diese
Tatsache lieferte den Beweis. Die Tätowierungen eines wirklichen Patryn hätten
geleuchtet, wie es bei Marit der Fall war.
Noch mehr als
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