Irrwege
anhört…«
»Aber nicht doch – aus deinem Munde…« Haplo konnte
sich ein Lächeln nicht verkneifen.
Alfred erwiderte schuldbewußt das Lächeln. »Was
mich wundert, ist dieses Gefängnis. Ich dachte, bei euch gäbe es das nicht, daß
man Angehörige des eigenen Volkes gefangennimmt und einsperrt…«
»Das dachte ich auch«, antwortete Haplo betont.
Vasu, der neben ihnen ging, ebenso schweigend
und in Gedanken versunken wie Haplo vorhin, blickte auf.
»Nur in Fällen, wo es unumgänglich ist«,
erklärte er. »Hauptsächlich zum Besten der Gefangenen selbst. Manche von uns
werden von der Krankheit befallen, die wir den Labyrinthwahn nennen. Außerhalb
der Mauern unserer Stadt führt diese Krankheit gewöhnlich zum Tode.«
»Außerhalb der Mauern dieser Stadt«, fügt Haplo
grimmig hinzu, »bringt jemand mit Labyrinthwahn seinen oder ihren ganzen Stamm
in Gefahr.«
»Was wird aus ihnen? Was tun sie?« fragte
Alfred.
Haplo zuckte mit den Schultern. »Meistens
verlieren sie den Verstand und springen von einer Klippe. Oder machen alleine
Jagd auf ein Rudel Dämonenwölfe. Oder stürzen sich in den Fluß.«
Alfred schauderte.
»Aber wir haben herausgefunden, daß es mit Zeit
und Geduld möglich ist, den Kranken zu helfen«, führte Vasu weiter aus. »Wir
bringen sie an einen Ort, wo sie in Sicherheit sind, wo sie sich und anderen
keinen Schaden zufügen können.«
»Und dahin bringt ihr auch uns«, meinte Haplo.
»Genaugenommen habt ihr euch selbst dahin gebracht«,
entgegnete Vasu. »Ist es nicht so? Wenn du gehen wolltest, könntest du es tun.«
»Und meinem eigenen Volk das Verderben bringen?
Dafür bin ich nicht hergekommen«, antwortete Haplo düster.
»Du könntest diesen Nichtigen und seinen Dolch
zurücklassen.«
Haplo schüttelte den Kopf. »Nein, ich trage die
Verantwortung. Ich brachte den Dolch hierher – unwissentlich, aber es ist
meine Schuld. Wir drei« – sein Blick schloß Alfred und Hugh Mordhand ein –
»finden vielleicht eine Möglichkeit, die Waffe unschädlich zu machen.«
Vasu nickte verstehend, zustimmend.
Haplo schwieg einen Moment, dann sagte er: »Aber
ich werde mich nicht in Xars Hände begeben.«
Vasus Züge verhärteten sich. »Ich werde ihm
keinen von euch ausliefern, ohne vorher anzuhören, was er zu sagen hat, und mir
dementsprechend ein Urteil zu bilden.«
Fast hätte Haplo laut aufgelacht. Mit Mühe
bewahrte er ein ernstes Gesicht. »Du kennst Xar nicht, Obmann Vasu. Mein
Gebieter nimmt sich, was er haben will. Er ist nicht gewöhnt, daß man ihm etwas
verweigert.«
Vasu lächelte nachsichtig. »Mit anderen Worten,
mir wird keine andere Wahl bleiben.« Er klopfte selbstzufrieden auf den runden
Bauch. »Ich mag verweichlicht aussehen, Haplo. Aber du solltest mich nicht
unterschätzen.«
Haplo erlaubte sich, an seinen Zweifeln
festzuhalten, aber sie zu äußern wäre ein Verstoß gegen die Höflichkeit
gewesen. Nein, wenn der Augenblick kam, stand er allein gegen Xar. Haplo
versank wieder in sein unerfreuliches Grübeln.
»Ich frage mich, Obmann Vasu«, erklärte Alfred,
»wie genau Ihr die Gefangenen festhaltet? In Anbetracht der Tatsache, daß
unsere Magie auf der Wahl von Möglichkeiten beruht und dazu auch Möglichkeiten
zur Flucht gehören.? Nicht, daß ich etwa vorhätte zu fliehen«, beteuerte er
hastig. »Und wenn Ihr lieber nichts darüber sagen möchtet, habe ich vollstes
Verständnis…«
»Es ist im Grunde genommen ganz simpel«, antwortete
Vasu ernsthaft. »Im Spektrum der Möglichkeiten existiert auch die Möglichkeit,
daß es keine Möglichkeiten gibt.«
Alfreds Augen bekamen einen glasigen Schimmer.
Der Hund schnappte nach seinen Knöcheln und bewahrte
ihn davor, in ein Loch zu stolpern.
»Keine Möglichkeiten«, wiederholte Alfred
grübelnd. Er schüttelte verdutzt den Kopf.
Vasu lächelte. »Ich bin gern bereit, es zu
erklären. Wie man sich vorstellen kann, ist die Reduzierung unendlicher
Möglichkeiten gegen Null ein extrem komplexer und schwieriger Zauber. Wir
bringen die Person in einen kleinen, abgeschlossenen Raum, wie eine Gefängniszelle
oder ein Verlies. Diese Notwendigkeit ergibt sich aus der Art der Beschwörung,
die bedingt, daß innerhalb des fraglichen Raums die Zeit stehenbleibt, denn nur
indem man die Zeit anhält, verhindert man die Entstehung neuer Möglichkeiten.
Es wäre weder machbar noch wünschenswert, für ganz Abri die Zeit zum Stillstand
zu bringen.
Deshalb
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