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Irrwege

Titel: Irrwege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Weis , Tracy Hickman
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ich hätte meinen Bruder getötet, um
die Hinterlassenschaft nicht teilen zu müssen.
    Ich beteuerte, der Schein spräche gegen mich,
erklärte ihm, was sich zugetragen hatte, aber natürlich schenkte er mir keinen
Glauben. Konnte ich ihm einen Vorwurf machen? Wo ich es selbst nicht zu fassen
vermochte?
    Der Dolch hatte sich wieder zurückverwandelt. Er
sah aus, wie er jetzt vor Dir liegt. Ich wußte, wenn An’lee mir nicht glaubte,
dann erst recht kein anderer. Ein Skandal bedeutete den Ruin unserer Familie. Brudermord
ist ein todeswürdiges Verbrechen, mir war der Galgen gewiß. Schloß und
Ländereien fielen an den König. Mutter und Schwester – entehrt, mittellos. Wie
groß auch mein eigener Schmerz sein mochte (und ich hätte gerne alles gestanden
und die Strafe auf mich genommen), ich konnte meine Familie nichts ins Unglück
stürzen.
    An’lee war loyal, er machte sich erbötig, mir zu
helfen, den Mord zu vertuschen. Was blieb mir anderes übrig, als darauf
einzugehen? Zusammen schmuggelten wir den Leichnam meines unglücklichen Bruders
aus dem Schloß, trugen ihn zu einer Stelle, von der bekannt war, daß häufig
Marodeure dort lauerten – und warfen ihn in den Graben. Dann kehrten wir nach
Hause zurück.
    Meiner Mutter erzählte ich, mein Bruder hätte
Berichte über herumstreifende menschliche Räuberbanden empfangen und wäre
aufgebrochen, um nachzuforschen. Als man den Toten Tage später fand, nahm man
an, daß er in einen Hinterhalt geraten war. Niemand schöpfte Verdacht. An’lee,
treuer Diener, nahm das Geheimnis mit ins Grab.
    Was mich angeht, Du kannst nicht ermessen, mein
Sohn, welche Qualen ich erduldet habe. Zuzeiten glaubte ich, Schuld und Reue
würden mir den Verstand rauben. Nacht für Nacht lag ich wach und träumte sehnsüchtig
davon, mich von der Mauerkrone hinabzustürzen und der Tortur ein Ende zu
machen. Doch ich mußte weiterleben, für andere, die ich nicht im Stich lassen
durfte.
    Wie gerne hätte ich das widerwärtige Monstrum
aus dem Haus geschafft, aber die Warnung der Kenkari ging mir nicht aus dem
Sinn. Wenn es in andere Hände fiel? Wenn es wieder tötete? Weshalb sollte ein
anderer leiden, wie ich litt? Nein, es sollte Teil meiner Sühne sein, den
Todesdolch zu behalten. Und ich bin gezwungen, ihn Dir zu vermachen. Er ist
die Bürde, die unsere Familie trägt und tragen muß bis ans Ende aller Zeiten.
    Habe Mitleid mit mir, mein Sohn, und bete für
mich. Krenka-Anris, die alles sieht, kennt die Wahrheit, und ich bin getrost,
daß sie mir vergeben wird. Wie auch mein geliebter Bruder, so hoffe ich, mir
verzeiht.
    Dich beschwöre ich, mein Sohn, bei allem, was
Dir teuer ist – bei der Göttin, bei meinem Angedenken, beim Herzen Deiner
Mutter, bei den Augen Deiner Gemahlin und bei Deinem ungeborenen Kind –, daß
Du den Todesdolch sicher aufbewahrst und daß Du ihn niemals, niemals wieder
berührst oder ansiehst.
    Möge Krenka-Anris mit Dir sein.
    In Liebe,
    Dein Vater…
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Kapitel 9
Die Festung der Bruderschaft,
Skurvash,
Arianus
    Ciang verstummte, blickte zu Hugh auf.
    Er hatte schweigend im Schatten gestanden, die
Hände in den Taschen seiner ledernen Hose, mit dem Rücken an die Wand
gelehnt. Jetzt verlagerte er sein Gewicht von einem Fuß auf den anderen,
verschränkte die Arme und richtete den Blick auf die Stiefelspitzen.
    »Du zweifelst«, sagte Ciang.
    Hugh schüttelte den Kopf. »Ein Mörder, der den
Hals aus der Schlinge zu ziehen versucht. Er behauptet, niemand hätte Verdacht
geschöpft, aber irgend jemand wird doch Lunte gerochen haben, und er will sich
vor seinem Jungen reinwaschen, bevor er in den Krieg zieht.«
    Ciang kniff die Lippen zu einem dünnen Strich
zusammen. »Wärst du ein Elf, würdest du nicht zweifeln. Solche Eide wie in
diesem Vermächtnis schwört man nicht leichtfertig, selbst in der heutigen
Zeit.«
    Hugh stieg das Blut in die Wangen. »Es tut mir
leid, Ciang. Ich wollte Euch nicht beleidigen. Nur – ich kenne mich etwas aus
mit magischen Waffen, und nie habe ich so etwas erlebt. Oder auch nur etwas
annähernd Vergleichbares.«
    »Und wie oft hast du erlebt, daß einer tot war
und wieder zum Leben erwachte, Hugh Mordhand?« fragte Ciang mit bedrohlich
leiser Stimme. »Und wie viele Männer hast du gesehen, die vier Arme hatten?
Oder zweifelst du auch an meinen Worten?«
    Hugh schlug die Augen nieder. Seine
Wangenmuskeln mahlten, er warf unter gesenkten Lidern hervor einen Blick auf

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