Irrwege
den Dolch. »Aber was ist das für eine Art von Magie?«
»Ich weiß es nicht«, antwortete Ciang, auch sie
betrachtete die primitive Waffe. »Ich kann es nicht erklären. Ich habe meine
Vermutungen, aber mehr sind es auch nicht – Vermutungen. Du kennst jetzt alle
Fakten, die mir auch bekannt sind.«
Hugh bewegte sich unruhig. »Wie ist das Ding in
den Besitz der Bruderschaft gekommen? Könnt Ihr mir das sagen?«
»Das war vor meiner Zeit. Aber man kann es sich
leicht vorstellen. Der Elfenkrieg war lang und kostspielig. Er brachte viele
adlige Häuser an den Rand des Ruins. Vielleicht hatte auch diese Familie ihr
Vermögen verloren. Vielleicht war ein jüngerer Sohn gezwungen, sein Glück in
der Fremde zu suchen, und geriet in die Bruderschaft. Vielleicht brachte er den
Todesdolch mit. Krenka-Anris ist mittlerweile die einzige, die die Wahrheit
kennt. Der Mann, der mein Vorgänger war, gab ihn an mich weiter, zusammen mit
diesem Dokument. Er war ein Mensch. Er war des Hochelfischen nicht mächtig und
wußte nicht, was darin stand. Nur so läßt sich erklären, daß er die Waffe
nicht unter Verschluß hielt.«
»Und Ihr habt niemals jemandem erlaubt, ihn aus
dem Koffer zu nehmen?« Hugh musterte sie eindringlich.
»Niemals. Du vergißt, mein Freund«, fügte Ciang
hinzu, »ich half ihnen, den Mann mit vier Armen zu begraben. Davon abgesehen
ist bisher keiner von uns beauftragt worden, einen Gott zu töten.«
»Und nach Eurer Meinung ist diese Waffe dazu
geeignet?«
»Wenn man dem Vermächtnis glauben will, wurde
sie eigens zu dem Zweck geschaffen. Ich habe die Nacht damit zugebracht, die
Magie der Sartan zu studieren, denn auch wenn dieser Mann, den du töten mußt,
nicht einer von ihnen ist, basieren doch beider magische Fähigkeiten auf
demselben Prinzip.«
Ciang erhob sich steif und trat an den Tisch,
auf dem das Messer lag. Während sie sprach, strich sie mit dem langen
Fingernagel behutsam über das von Hammerschlägen geprägte Metall am Griff,
hütete sich aber, die Klinge selbst zu berühren, worin die rätselhaften Zeichen
eingeprägt waren.
»Ein Magier der Paxar, der in den Tagen der
Sartan lebte, unternahm den Versuch, in ihre Geheimnisse einzudringen. Nicht
ungewöhnlich. Der Mysteriarch Sinistrad tat das gleiche, wenn ich recht
unterrichtet bin.« Ciang sah Hugh an.
Er runzelte die Stirn, sagte aber nichts.
»Nach den Aufzeichnungen dieses Mannes ist
Sartanmagie erheblich verschieden von der der Elfen oder Menschen, weil ihre
Magie nicht auf der Manipulation natürlicher Gegebenheiten beruht wie bei den
Menschen, noch machen sie Gebrauch davon, um mechanische Geräte zu
modifizieren, wie wir Elfen es tun. Solche Formen der Magie nutzen entweder
das, was gewesen ist, oder das Jetzt und Hier. Sartanmagie beeinflußt die
Zukunft. Daher rührt ihre große Macht. Und sie bewerkstelligen es durch die
Kontrolle der Möglichkeiten.«
Hugh furchte die Stirn.
Ciang überlegte. »Wie soll ich es erklären.
Nehmen wir an, mein Freund, wir befinden uns in diesem Raum, wenn plötzlich
dreizehn Bewaffnete hereinstürmen und dich angreifen. Was würdest du tun?«
Hugh grinste steif. »Aus dem Fenster springen.«
Ciang legte ihm lächelnd die Hand auf den Arm.
»Kein falsches Heldentum, mein Freund… Deshalb lebst du noch.
Natürlich wäre das eine Möglichkeit. Hier drin
gibt es viele Waffen, dadurch bieten sich dir zahlreiche weitere Alternativen.
Du könntest eine Pike nehmen, um die Angreifer
in Schach zu halten. Du könntest mit den Explosivpfeilen der Elfen auf sie
schießen oder ihnen sogar eine der Feuersturm-Mixturen der Menschen vor die Füße
schleudern. Du hast die Wahl.
Aber das sind noch nicht alle Möglichkeiten. Es
gibt andere, manche recht bizarr, doch alles Alternativen. Zum Beispiel könnte
die Decke unerwartet herabstürzen und deine Feinde zermalmen. Oder der Boden
bricht ein. Ein Drache könnte durchs Fenster hereingeflogen kommen und sie
verschlingen.«
»Nicht sehr wahrscheinlich!« Hugh lachte
grimmig.
»Aber du gibst zu, es ist möglich.«
»Alles ist möglich.«
»Fast. Fast alles. Obwohl, je unwahrscheinlicher
die Alternative, desto größer der erforderliche Aufwand an Magie, um sie zu
verwirklichen. Ein Sartan besitzt die Fähigkeit, in die Zukunft zu sehen, das
Spektrum der Möglichkeiten zu überblicken und diejenige auszusuchen, die
seinen Wünschen entspricht. Er wählt sie aus, und sein Wunsch ist Realität.
Weitere Kostenlose Bücher