Irrwege
neuen Welt. Limbeck stand breitbeinig in der Mitte
des Saales und hielt eine Rede. Nur Jarre hörte ihm zu, doch er merkte weder,
daß er ein so kleines Publikum hatte, noch kümmerte es ihn. Jarres Augen
hingen liebevoll an dem erlauchten Präsidenten der UFF (Union für Frieden und
Freiheit) und Chefmechaniker aller Zwerge – Augen, die immer für zwei würden
sehen müssen.
»Lebt wohl, meine Freunde«, sagte Haplo zu
ihnen, vom Gang aus, wo sie ihn unmöglich hören konnten. Er drehte sich um und ging.
Die Zukunft auf Arianus… Frieden. Ein
unbeständiger Frieden, der bröckelte und ins Wanken geriet und mehr als einmal
drohte, einzustürzen und alles zu zerschmettern. Aber die Nichtigen, geführt
von ihren weisen Herrschern, nähten hier einen Flicken auf, stopften da eine
fadenscheinige Stelle, und der Frieden hielt, stabil in seiner
Unvollkommenheit.
Aber genau das Gegenteil dessen hatte er
erreichen sollen.
»Ich mußte es tun, Fürst Xar. Sonst hätten die
Drachenschlangen…«
Unwillkürlich griff Haplo sich an die Brust. Die
Wunde bereitete ihm Sorgen. Das Narbengewebe war entzündet und schmerzte bei
jeder Berührung. Er kratzte geistesabwesend daran und riß fluchend die Hand
zurück. Als er an sich hinunterschaute, sah er die roten Flecken auf dem Hemd.
Die Wunde blutete wieder.
Er stieg die Treppe hinauf; oben angekommen,
blieb er vor der Statue des Manger stehen. Sie erinnerte ihn mehr denn je an
Alfred.
»Xar wird nicht auf mich hören, stimmt’s?«
fragte Haplo das Standbild. »So wenig, wie Samah auf dich gehört hat.«
Die Statue gab keine Antwort.
»Aber ich muß es versuchen«, fuhr Haplo fort.
»Ich muß meinem Gebieter die Augen öffnen, sonst ist alles verloren. Wenn er
die Gefahr erkennt, in der wir alle schweben, hat er die Macht, sie zu
bekämpfen. Und ich kann ins Labyrinth zurückkehren, um mein Kind zu suchen.«
Merkwürdig genug, der Gedanke, ins Labyrinth zurückzukehren,
erschreckte ihn nicht länger. Endlich fand er die Kraft, noch einmal durch das
Letzte Tor zu gehen. Sein Kind. Und ihr Kind. Vielleicht gelang es ihm,
auch sie zu finden. Seinen Fehler – sie gehen zu lassen – wiedergutzumachen.
»Du hast recht gehabt, Marit«, setzte er sein
Selbstgespräch fort. »›Das Böse in uns‹, hast du gesagt. Jetzt verstehe ich.«
Er hob den Blick zum Gesicht der Statue. Als er
sie zum erstenmal gesehen hatte, war das Standbild des Sartan ihm beeindruckend
vorgekommen, erhaben, majestätisch. Nun schien er ihm müde auszusehen,
melancholisch und fast erleichtert.
»Ganz schön hart, ein Gott zu sein, nicht wahr?
Die ganze Verantwortung – und niemand hört zu. Aber deine Freunde sind in
Sicherheit.« Haplo legte die Hand auf den metallenen Unterarm. »Du brauchst dir
ihretwegen keine Sorgen zu machen. Und ich auch nicht mehr.«
Haplo verließ die Farbick und ging zu seinem
Schiff. Das Unwetter zog ab, die Wolken trieben davon. Und soweit Haplo
feststellen konnte, braute sich auch kein nächstes zusammen. Es sah ganz danach
aus, daß ein Wunder geschah und die Sonne auf Drevlin schien – auf ganz
Drevlin, nicht allein auf den Fleck bei den Hebenauffern. Haplo fragte sich,
wie die Zwerge mit all dem Neuen fertig werden mochten.
Getreu ihrem Naturell, dachte er schmunzelnd,
werden sie vermutlich dagegen sein.
Haplo umging nach Möglichkeit Pfützen und
Lachen, schlug einen Bogen um jeden Teil des Allüberalls, der aussah, als
könnte er sich unvermutet in Bewegung setzen und ihn überrollen, zerquetschen
oder erschlagen. Die Luft war erfüllt von dem Konzert der unterschiedlichen
Aktivitäten der unermüdlichen Maschine: Pfeifen und Tuten, Rasseln, Poltern und
Scheppern, das Knistern elektrischer Entladungen. Ein paar Zwerge hatten sich
tatsächlich nach draußen gewagt und schauten zweifelnd zum Himmel auf.
Haplo warf sofort einen Blick auf sein Schiff
und bemerkte erfreut, daß nichts und niemand sich in der Nähe befand – auch
kein erster Fühler des wachstumsfreudigen Allüberalls. Weniger erfreut
bemerkte er, daß auch von dem Hund weit und breit nichts zu sehen war. Aber,
mußte er sich eingestehen, ich bin in letzter Zeit keine gute Gesellschaft
gewesen. Wahrscheinlich jagte der Hund irgendwo Ratten.
Die Sturmwolken lösten sich auf. Sonnenstrahlen
brachen hindurch. In der Ferne schillerte eine Kaskade von Regenbögen um die
brausende Wasserfontäne. Das Sonnenlicht verlieh der Maschine eine pittoreske
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