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Irsud

Irsud

Titel: Irsud Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Clayton
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müde.”
    24
    Die langen Schatten erstreckten sich wie schwarze Tinte über den grasbewachsenen Geröllboden der schmalen Schlucht. Hinter Aleytys scharrten die Pferde des Packzuges unruhig am Boden und schüttelten die Halfter, bis das leise, metallene Klimpern wie Glockenklang um sie her tanzte. Die Siedlung ist groß, dachte sie, aber man kann nie wissen. Jedes der halbwegs dauerhaften Häuser mit ihren vielspitzigen Lederdächern und den Wänden aus Baumstämmen war dicht an oder um die stämmigen, ledrig beblätterten Bäume gebaut. Burash stand im Schatten dicht an dem knorrigen Stamm, halb unsichtbar. Hier und da spähten kleine Gesichter um Ecken oder aus Schattenflecken, strahlten Neugier aus, zaghafte Feindseligkeit und Unsicherheit. Vorhin hatten sie einige Laute und Beleidigungen ausprobiert und waren zu Schweigen und Benehmen zurechtgeknufft worden. Die Erwachsenen hatten erste Gesichter, akzeptierten, waren formell höflich.
    „Kätzchen.”
    „Kunniakas?”
    „Sie werden ihm nichts tun?”
    „Nein. Natürlich nicht.” Die Hiiri legte zögernd ihre Hand auf Aleytys’ Arm. „Ich werde auf ihn aufpassen. Aber er hat das Wort des Paamies.”
    „Ich weiß. Aber Nakivas wird nicht mehr da sein.”
    „Ich bin hier. Ich kenne den Wert von dem hier.”
    „Danke.” Aleytys wischte die Hände über die weiche, weiße Lederjacke. „Ich mag dieses Ding”, sagte sie abwesend. „Es war gut von deinen Leuten, es für mich anzufertigen.”
    „Nicht meine Leute.”
    Aleytys schüttelte den Kopf. „Kätzchen, Kätzchen.” Sie zerzauste die langen, vornehmen Fransen, die bis auf ihre Knie hinunterhingen. Sie trug weiße, lederne Beinkleider, die über weiche, flache Mokassins paßten. Sie seufzte und schwang sich geschmeidig in den Sattel. „Ich habe kein gutes Gefühl bei dieser Reise, Kätzchen.”
    Aamunkoitta zuckte mit den Schultern. „Es ist eine Verpflichtung.”
    „Und Verpflichtungen müssen geehrt werden.” Aleytys schaute auf, überrascht, die Sonne in ein klumpiges Orange zerschnitten zu sehen, das halb in Schleiern von Sonnenuntergangs-Vergoldung leuchtete. Es gab nicht eine Wolke in der strahlenden Kuppel des Himmels. Ein Frösteln durchjagte sie … Schwarz über der Sonne …
    Groß und dick … Aber zu schnell, um es erfassen zu können … Das Bild war außerordentlich lebhaft, deutlich genug, um die Realität um sie her wenigstens für einen flüchtigen Moment zu überschatten.
    Nakivas stieß einen Schrei aus, und der Packzug setzte sich auf die langsam untergehende Sonne zu in Bewegung.
    Diese ganze Nacht hindurch wanden sie sich durch die messerschmalen Schluchten, bewegten sie sich in wachsamem Schweigen, die einzigen Geräusche waren das Stampfen von Hufen, ein gelegentlicher kratzender Laut, das Knarren von Leder und das gedämpfte Klingeln der Halfterringe.
    Sie überquerten eine Anhöhe und schlängelten sich in einen steilwandigen Canyon hinunter; der Schluchtbogen war eben, wurde von einem leise tosenden Bergbach zweigeteilt, weißes Wasser sprudelte und tanzte um Felsbrocken herum. Hinter ihnen kroch die Sonne empor, wurde runder, als sie sich über den Horizont schob und lange Schatten rein und schön über den blassen, grauen Stein schickte, der - auf seine Art - ebenfalls rein und schön war, der Morgen frisch und neu, vereinzelter Vogelgesang erwachte zu sanftem Klang.
    Während sie dem Serpentinenweg folgten, die Flanke des Berges hinunterkrochen, suchte Aleytys den noch stillen Canyon nach der Silbernadel des Schmugglerschiffes ab. Schließlich entdeckte sie sie. Aber es war keine Silbernadel. Es verschwamm vor dem Gestein, so daß es aussah wie Rauch, der substanzlos und unwirklich über dem Boden schwebte.
    Die Karawane wand sich vorsichtig zwischen den verstreut liegenden Felsbrocken hindurch, manche höher als die Rücken der Pferde. Das Wasser des Baches war eisig kalt, der Klang der Pferdehufe wurde vom zusammengeklumpten Sand der Furt gedämpft. Jenseits, am Rande des Schattens, der den Rand des Aschekreises markierte, saßen drei Männer, still und stumm, neben einem auf dem Boden ausgebreiteten schwarzen Tuch, einem tiefschwarzen Tuch, das stumme Haufen kleiner, glitzernder Dinge darbot: Messer und Nadeln, Pfeilspitzen und Geschosse, Wurfpfeile und Projektilwerfer, Töpfe und Tauwerk, Stoffballen und Krüge mit Glasperlen, und noch mehr Messer, Äxte …
    Köpfe, keine Griffe … dunkle, graublaue Eisenkeile, Töpfe mit Farbe, Bürsten und glänzende,

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