Isabelle
wahr?«
»Das war vor meiner Zeit. Ich hoffe für Sie, dass meine Sekretärin Informationen darüber finden kann.« Sie hatte schöne Augen, aber ihre weißen Zähne waren so klein, dass ihr Gebiss ihn an das eines Kaninchens erinnerte. »Ich möchte Ihre Ermittlungen natürlich nicht behindern, aber um Ihnen die Wahrheit zu sagen, verstehe ich nicht recht, warum sich die Polizei dafür interessiert, warum und wie lange dieser Ben Visser als kleiner Junge in dem früheren Waisenhaus gelebt hat. Schließlich ist er doch jetzt tot, oder nicht?«
»Es muss nun mal sein«, sagte Max. »Die mühsame Kleinarbeit gehört eben dazu. Manchmal komme ich mir vor wie ein Staubsaugervertreter, der von Haus zu Haus geht.«
Sie lächelte nicht. »Das ist auch etwas, das vor meiner Zeit war. Wo Emma nur bleibt?«, fragte sie dann gereizt und stand abrupt auf. »Jedenfalls ist es für mich reine Zeitverschwendung, ich muss jetzt zu einem Meeting. Einen Augenblick bitte.«
Sie verließ das Büro. Die Tür blieb halb offen stehen, und Max hörte ihre ungeduldige Stimme im Nebenraum. Eine Frau antwortete ihr, so leise, dass er es nicht verste hen konnte, aber es klang untertänig. Er schaute sich im Büro um, das hell und kühl wirkte, mit schwedischen Möbeln auf einem seegrünen Teppichboden, Topfpflan zen und zwei Reproduktionen von Manet. Das graue Behördenmobiliar von früher gehörte ebenso der Ver gangenheit an wie die Staubsaugervertreter.
»Emma wird Ihnen alles erklären, ich muss jetzt leider weg«, sagte die Direktorin, als sie zurückkehrte. »Emma, das ist Meneer Winter.«
Das Mädchen blieb mit einem altmodischen Register in der Hand in der Tür stehen.
Die Direktorin griff nach ihrer Handtasche, die auf dem Schreibtisch lag. Auf dem Weg zur Tür sagte sie: »Emma bringt Sie gleich hinaus.«
Max stand auf und lächelte die Sekretärin an. Sie trug eine Brille mit dickem Gestell und hatte kastanienbraunes Haar, das glatt herunterhing und ihr halb bis auf die Wangen fiel. Sie war mollig und trug ein braunes Woll kleid mit vielen Knöpfen, das altmodisch gediegen aus sah. »Darf ich Emma sagen?«
»Natürlich. Alle nennen mich beim Vornamen.« Ihre Mundwinkel verzogen sich zu einem schüchternen Lä cheln. »Ich habe Mevrouw Van Gestel gerade schon er klärt, dass wir keinen Ben Visser in unserem Archiv haben …«
»Aber er muss hier gelebt haben, jedenfalls in dem frü heren Heim. Vielleicht ist das Archiv nicht mehr voll ständig?«
»Doch, wir besitzen noch alle alten Register, und ich habe auch in den Jahren davor und danach gesucht, aber keinen Visser gefunden.« Das Mädchen setzte sich an den hellen Holztisch und legte den Registerband vor sich hin. »Oh, Pardon«, sagte sie dann errötend, stand hastig wie der auf und deutete auf einen Stuhl. »Bitte setzen Sie sich.«
»Wenn Sie mir nicht helfen können, werde ich Sie nicht länger aufhalten«, sagte Max deprimiert. »Er muss 1952 hierher gekommen sein, er wurde am 14. April dieses Jahres geboren.«
»Ich habe einen Jungen mit diesem Geburtsdatum ent deckt, der im Mai 1952 aufgenommen wurde. Aber er hieß nicht Ben Visser.« Sie schob an der Stelle, wo sie eine Karte zwischen die Seiten gelegt hatte, einen Finger in das Register und schlug es auf. »Sein Name war Alex Lafont.«
»Lafont?« Max zog sich einen Stuhl heran. »Ist dieser Alex Lafont auch weggelaufen?«
Das Mädchen warf einen Blick auf die Karte, die zur Hälfte mit unregelmäßigen Schreibmaschinenzeilen be schrieben war. »Nein, und deshalb glaube ich auch, dass er es nicht sein kann. Sie sind nur zufällig am gleichen Tag geboren. Dieser Junge wurde von einem Lehrer und dessen Ehefrau adoptiert, als er sechs Jahre alt war. Es tut mir Leid, dass ich Ihnen nicht helfen kann.«
Sie steckte die Karte zurück und wollte das Register wieder zuklappen, aber Max hielt sie mit einer Handbe wegung zurück: »Vielleicht hieß das Ehepaar Visser, und er hat ihren Namen angenommen?«
Emma schaute in das Buch. »Nein, ihr Name war Hinstra.«
Max starrte sie an. »Hinstra?«
Sie schaute wieder auf die Karte. »Ja, aus Leeuwarden.«
Max notierte sich die Adresse und bedankte sich bei ihr. Da kam ihm noch ein Gedanke, und er fragte: »Hat sich vielleicht irgendwann vorher schon einmal jemand nach Alex Lafont erkundigt?«
»Nicht dass ich wüsste«, antwortete sie. »Nicht, seit dem ich hier bin jedenfalls, aber ich arbeite auch erst seit vier Monaten hier. Ich frage mal Mevrouw Van Gestel …
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