Isabelle
Ach nein, die ist ja jetzt im Rathaus. Ich kann mich aber später bei ihr erkundigen, wenn Sie möchten.«
»Ja, gerne«, sagte Max. »Ich rufe dann deswegen noch einmal an, in Ordnung?«
Emma errötete, als habe er versucht, ein Rendezvous mit ihr zu vereinbaren.
Fons war natürlich sofort aufgefallen, dass sie blass und erschöpft aussah und sich morgens elend fühlte. »Bestimmt eine kleine Grippe«, meinte er. »Hast du warme Schlafanzüge? Die Nächte werden schon kühler. Vielleicht zieht es oben bei dir. Morgen früh gehen wir auf den Markt, direkt daneben ist der Arzt. Da lasse ich mich jedes Jahr im Herbst impfen.«
Es nieselte, als sie über die Landstraße fuhren, und tiefe Nebelwolken hingen über der Maas. »Mein Arzt ist ein alter Bock«, flüsterte Fons, als sie in der kleinen Gemeinschaftspraxis ankamen. »Geh lieber zu Doktor Vredeling, sie ist eine nette Frau.« Er ging ihr voraus zur Anmeldung, wo man ihn kannte. »Tag, Lucy«, sagte er zu der Empfangsdame. »Das ist meine Nichte Isabelle. Setz sie ruhig mit auf meine Versicherungskarte. Sie möchte zu Doktor Vredeling.«
Die Empfangsdame zog eine Blankokarte heraus. »Isabelle Walman?«
»Genau«, antwortete Fons. Isabelle ließ ihn gewähren. Sie fühlte sich elend, nicht wegen ihrer Erkrankung, sondern weil sie ein ungutes Vorgefühl hatte, wie immer, wenn sie zum Arzt musste. Sie hatte ihr Leben lang Angst vor Ärzten gehabt, wahrscheinlich weil die Beziehung zu ihnen schon mit ihrer Geburt einen denkbar schlechten Anfang genommen hatte. Deshalb hatte sie die ganze Zeit den Kopf in den Sand gesteckt, die Zeit verstreichen lassen und so getan, als sei alles in bester Ordnung.
Fons zeigte auf die Zeitschriften im freundlichen Wartezimmer gegenüber vom Empfang. »Du wirst gleich aufgerufen. Ich gehe solange auf den Markt und komme in einer halben Stunde wieder, gucken, ob du fertig bist.«
Zitternd saß sie auf einem der hellen Holzstühle, als sie den Namen Isabelle Walman hörte.
Doktor Vredeling war um die fünfzig, eine grobknochige Frau mit breitem Gesicht und dunklem grau gesträhntem Haar, das ihr glatt bis zur Mitte der Wangen fiel. Sie stellte kurze, sachliche Fragen, während sie Isabelles Lungen abhörte, ihren Blutdruck maß, den Puls kontrollierte und sie anschließend ohne Umschweife mit gespreizten Beinen auf dem Gynäkologenstuhl installierte. »Alles klar«, sagte sie, nachdem sie fertig war. »Sie können sich wieder anziehen, ich bin gleich nebenan.«
Als Isabelle ins Sprechzimmer zurückkehrte, begrüßte die Ärztin sie mit einem unverbindlichen Lächeln. »Alles in Ordnung«, sagte sie. »Sie sind lediglich schwanger.«
Isabelle starrte sie entsetzt an. Sie war alt genug, um zu wissen, was das Ausbleiben der Regel und morgendliche Übelkeit normalerweise zu bedeuten hatten, hatte sich aber die ganze Zeit einzureden versucht, dass ihr körperliches Gleichgewicht durch die schrecklichen Geschehnisse durcheinander geraten war.
»Wann hatten Sie Ihre letzte Menstruation?«
»Vor drei Monaten«, flüsterte sie. »Es kann auch schon länger her sein …«
»Dann wird es ja wohl kaum eine Überraschung für Sie sein.« Als die Ärztin sah, was Isabelle für ein Gesicht machte, fragte sie etwas freundlicher: »Gibt es Probleme?«
»Nein …« Isabelle dröhnten die Ohren.
»Sind Sie verheiratet?«
»Nein, ich, äh …«, stotterte sie und dachte: Mein Gott. Was jetzt? Natürlich hatte sie ein Problem, sie konnte es nur noch nicht in seiner ganzen Tragweite überblicken.
»Wollen Sie es nicht haben?«
Isabelle hielt den Atem an. Da sie kein Wort sagte, runzelte die Ärztin nach einer Weile die Stirn. »Sie sind ziemlich spät dran damit. Ich mache das sowieso nicht, sie müssten also in eine Klinik gehen. Ich kann diese Entscheidung nicht für Sie treffen, aber ich könnte Ihnen einen Termin besorgen. Haben Sie einen Freund?«
Isabelle schüttelte den Kopf.
Die Ärztin reagierte allmählich gereizt. »Ich kenne Sie ja nicht, aber so naiv sehen Sie doch gar nicht aus«, sagte sie kalt. »Sie wissen über Verhütungsmittel Bescheid und über die Risiken, wenn Sie keine benutzen, und damit meine ich nicht nur, dass Sie schwanger werden können. Sie wussten genau, dass Sie schwanger sind, und Sie können ja wohl nicht im Ernst geglaubt haben, das ginge von selbst wieder vorbei. Warum haben Sie so lange gewartet? Ich hoffe doch, dass Sie wissen, wer der Vater ist?«
»Er war unfruchtbar.«
»Wie man sieht«,
Weitere Kostenlose Bücher