Isabelle
Ansteckendes?«
Isabelle gab ein nervöses Lachen von sich. »Nein. Ich bin schwanger.«
Das verschlug ihm für einen Moment die Sprache. »Von diesem Mann?«
Sie nickte.
Fons nickte auch und legte seine Hand auf ihre, die sie am Steuer hatte. »Bleib doch einfach bei uns«, sagte er dann. »Dann kriege ich ja doch noch so ’ne Art Enkelkind.«
Isabelle fing an zu weinen. Fons legte den Arm um sie und zog sie an sich.
Manchmal fühlte sich ihr Körper an, als blute er noch innerlich. Wenn sie im Bett lag, quälte sie sich oft mit der Frage herum, ob Ben sie wirklich geliebt hatte. Sie war sich dessen sicher gewesen, aber allmählich verlor sie diese Gewissheit, gerade jetzt, wo sie sie am nötigsten brauchte. Es gab keinen Schutz gegen ihre Zweifel. Sie wusste ja noch nicht einmal, wer Ben eigentlich gewesen war.
Sie wusste, dass sie sich entscheiden musste. Sie konnte so weitermachen und ein Leben in ewiger Unsicherheit wählen, oder sie konnte alles daransetzen, um darüber hinwegzukommen. Vielleicht musste sie sich auch an den Gedanken gewöhnen, dass das Wunder dieses einzigen Tages und dieser einzigen Nacht überhaupt kein Wunder gewesen war. Dann war es die Sache nicht wert, dass sie den Rest ihres Lebens unter ihrem Bann verbrachte. Sie durfte nicht zulassen, dass ihre kommenden Jahre von einer einzigen paradiesischen Erinnerung beherrscht wurden, die alles andere in den Schatten stellte. Aber wie sollte man Gefühle auslöschen, die so stark gewesen waren?
Gerben Hinstra wohnte schon lange nicht mehr unter der Adresse, die man Max im Waisenhaus gegeben hatte. Seine Frau war inzwischen verstorben, und es kostete Max einige Zeit im Rathaus von Leeuwarden, um den Witwer in einem großen Komplex für altengerechtes Wohnen am Rande der Stadt aufzuspüren.
»Es ist noch zu früh fürs Mittagessen«, sagte der alte Mann, der ziemlich lange dafür gebraucht hatte, die Tür seiner Wohnung auf der zweiten Galerie zu erreichen. »Also müssen Sie ein Besucher sein. Die sind hier eine Seltenheit.«
Max stellte sich vor und gab ihm seine Karte. Hinstra starrte sie an, als brauche er normalerweise eine Lesebrille. »Geht es um Alex? Bitte kommen Sie herein.«
Hinstra ging ihm langsam durch den winzigen Flur voraus ins Wohnzimmer, das voll gestellt war mit alten Möbeln und Bücherschränken, in denen zahlreiche abgegriffene Taschenbücher, eine Enzyklopädie und andere Nachschlagewerke standen, die wahrscheinlich aus der früheren Lehrerwohnung mit hierher umgezogen waren. Mit einem Nicken wies er auf einen mit verschlissenem grauem Kordstoff bezogenen Armsessel, der schräg zum großen Fenster hin stand. »Der Sessel da ist mein Stammplatz, wie man wohl sieht. Manchmal sitze ich stundenlang da und schaue nach draußen, in der Hoffnung, dass ich vielleicht eines Tages mal für immer darin einschlafe. Immer noch besser, als in einem Krankenhausbett zu sterben.«
Nachdem er sich auf den Sessel gesetzt hatte, beugte er sich vor, griff mit beiden Händen den Stoff seiner grauen Hose an den Knien und stellte die Füße auf ein Kissen, das auf der Zentralheizung unter dem Fenster lag. Durch das Fenster blickte man auf ein Panorama von Rasenflächen und Bäumen sowie in der Ferne auf einen Stadtteil von Leeuwarden.
»Warum glauben Sie, dass ich wegen Alex gekommen bin?«, fragte Max.
»Weil ich nicht annehme, dass ein Unbekannter aus Amsterdam neugierig darauf ist, wie ein ehemaliger Grundschullehrer seinen letzten Atem aushaucht.«
»Na ja, Sie machen mir aber den Eindruck, als könne das noch ein Weilchen dauern.«
»Seniorengymnastik, Bingo, Billard spielen im Gemeinschaftsraum: ganz schön anstrengend, aber nicht so anstrengend wie vor der Klasse zu stehen. Ich bin wie ein abgestorbener Kirschbaum; der steht noch Jahre, aber man darf ihm keinen Stoß versetzen. Hier ist man vor Stößen ziemlich sicher, es geht ungefähr so aufregend zu wie bei einem Nähkränzchen.«
Max nahm sich einen Stuhl und stellte ihn neben den Sessel von Hinstra. »Sind vor mir schon mal Leute bei Ihnen gewesen, die sich nach Alex erkundigt haben?«
Hinstra war ein gebrechlicher Mann von mindestens achtzig Jahren, aber man erkannte noch die Spuren friesischer Gesundheit an ihm, die gegerbten Wangen, die Erinnerungen an Segeln und Schlittschuhlaufen wachriefen, weiße, borstige Wimpern über den eisblauen Augen und dünnes Haar, durch das der mit Leberflecken bedeckte Schädel schimmerte und das von einem so hellen Grau war, dass es
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