Isabelle
Tja, das waren noch andere Zeiten. Sie sind weggelaufen und haben heimlich in Gretna Green geheiratet, weil sie nie im Leben die Erlaubnis ihrer Eltern erhalten hätten.«
»Und Raymonds Eltern?«
»Die wussten von nichts. Ray hoffte im Stillen, dass sich alles finden würde, wenn er einfach mit Mechthild ankäme, und dass sich seine Eltern sicher freuen würden, wenn ein Enkelkind unterwegs wäre. Ray war ein Optimist, aber vielleicht war er einfach zu jung, hatte kein Rückgrat, jedenfalls nicht, wenn er es mit seinen Eltern aufnehmen musste. Es endete mit einem Drama. Sie wurden von den Eltern unverzüglich zum Notar geschleppt, um einen Ehevertrag abzuschließen. Mechthild sprach kein Französisch, sie konnten sie alles unterschreiben lassen, was sie wollten. Sie hat es ungefähr drei Jahre lang ausgehalten, was eine lange Zeit ist, wenn man bedenkt, dass sie dort zusammen mit den Eltern in einem Haus wohnten, eine eigene Wohnung hatten sie nicht.« Der alte Mann seufzte missbilligend. »Es ging vor allem deshalb schief, weil Raymond zu feige war, sich gegen seine Eltern zur Wehr zu setzen und für Mechthild einzustehen. Mechthild fühlte sich verraten und verkauft. Es war wie in so einer Fernsehserie, wie nennt man das noch, in einer Seifenoper. Ray wusste noch nicht einmal, dass sie wieder schwanger war, als sie ihn zusammen mit ihrer kleinen Tochter verließ.«
Amanda, dachte Max. »Hat sich Mechthild mit der Scheidung einverstanden erklärt?«
»Sie hatten keinerlei Kontakt mehr. Die Scheidung wurde über ihren Kopf hinweg ausgesprochen, vorgeschobener Scheidungsgrund war böswilliges Verlassen oder was immer sie auch erfunden haben. Es gelang ihnen, alles so zu drehen, dass sie das Recht auf ihrer Seite hatten. Franzosen unter sich, die örtlichen Honoratioren. Ein Jahr später war Ray wieder verheiratet, mit dieser Laurence, einer Kühltruhe mit Weinbergen. Er tat mir Leid. Und wütend war ich auch auf ihn. Aber er war mein Freund.«
»Hat er nie mehr etwas von Mechthild gehört?«
»Doch, einmal hat sie ihm noch einen kurzen Brief geschrieben, sieben Monate nachdem sie weggegangen war. Daher wusste er von seinem zweiten Kind, einem kleinen Jungen. Ray zeigte mir den Brief.«
»Was stand drin?«
»Dass sein Sohn Alex Lafont heiße und dass sie nicht für ihn sorgen könne. Deshalb hätte sie ihn bei einem Waisenhaus in Hengelo vor die Tür gelegt. Falls er jemals das Bedürfnis verspüre, Ansprüche auf seine Vaterschaft zu erheben, könne er ihn dort finden.«
»Und, hat er dieses Bedürfnis jemals gehabt?«
Damiaan lehnte sich zurück. »Auf seinem Sterbebett.« Er schwieg eine Weile. »Ray stand unter dem Pantoffel, er hatte wieder geheiratet, er wollte alles vergessen. Wenn man nur genug mit anderen Dingen beschäftigt ist … Er hat es einfach dabei belassen.« Wieder fiel eine Stille, und er wandte das Gesicht Max zu, als könne er dessen Ge danken erraten. »Was hätte ich daran ändern können?«
»Ich mache Sie für nichts verantwortlich«, sagte Max.
»Wenn man älter wird … Nein, das ist eine Ausrede. Ich habe den Kopf in den Sand gesteckt. Kein Mensch wusste, wo Mechthild sich herumtrieb oder wie es ihr ging. Jahre später habe ich die Nummer dieses Waisen hauses herausgesucht und einmal dort angerufen. Ich hörte, dass Alex mit sechs Jahren von einem Lehrer und dessen Frau adoptiert worden war. Da dachte ich, na ja, der Junge hat auf jeden Fall ein Dach über dem Kopf. Ich stellte mir auch vor, wie schön es wäre, wenn Mechthild die Frau dieses Lehrers wäre. Das wäre doch möglich gewesen, in der Welt der Seifenoper. Da haben doch auch letztendlich alle irgendetwas miteinander zu tun oder sind miteinander verwandt.«
Nicht nur in Seifenopern, dachte Max. »Haben Sie Raymond von Alex’ Adoption erzählt?«
»Ich fragte ihn, ob er nicht wissen wolle, was aus seinen Kindern geworden war. Nein, das wolle er nicht.« Der alte Mann erinnerte sich an die Rolle Zwieback auf sei nem Schoß und fing an, einen herauszupulen. »Ray war mein Freund«, sagte er. »Manche Menschen sind eben in der Lage, Dinge zu verdrängen. Ich war froh, dass er zu mindest im letzten Augenblick noch versucht hat, etwas wieder gutzumachen. Aber auch das ist ihm nicht ge glückt.«
Schlimmer noch, dachte Max. Dieser Versuch hat sei nen Sohn das Leben gekostet.
Es regnete immer noch so stark, dass sie sich mit Steaks, Pommes frites und einem kräftigen Bordeaux im Hotel begnügen mussten, anstatt sich auf
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