Isarbrodeln
Bad und geduscht. Dann noch schnell anziehen, Blutdrucktablette einnehmen und los ging’s.
Als er aufstand, fiel ihm auf, dass sein Oberschenkel inzwischen fast nicht mehr wehtat. Die Salbe von Monikas Tante hatte offensichtlich beste Arbeit verrichtet. Super. Umso besser. Dann konnte er heute auf jeden Fall beim Spiel antreten.
Nachdem er fertig angezogen war, öffnete er schwungvoll seine Wohnungstür, um die Treppen hinunterzueilen.
»Guten Morgen, Herr Raintaler. Ja, Sie sind heute aber früh unterwegs. Und das auch noch am Sonntag. Da schlafen Sie doch sonst immer ganz lange.« Frau Bauer fegte vor ihrer Wohnung ein paar Krümel und Kieselchen zusammen.
Das Licht war optimal dafür. Die Sonne stand um diese Uhrzeit im Frühjahr und im Sommer so günstig über den gegenüberliegenden Bäumen, dass sie geradewegs durch die kleinen Fenster hereinschien und das alte Treppenhaus hell erleuchtete. Was dem alten Gemäuer gar nicht schlecht zu Gesichte stand, wie er fand.
»Der frühe Vogel fängt den Wurm, Frau Bauer«, erklärte er ihr. »Das haben Sie doch selbst einmal zu mir gesagt, als ich Sie um halb sieben zum Arzt brachte. Wissen Sie noch? Zu diesem Internisten Dr. Müller, bei dem Sie eine Weile lang waren.«
Er schloss seine Tür ab. Zweimal. Wie immer. Damit es die Einbrecher nicht ganz so leicht hatten.
»Stimmt genau, Herr Raintaler. Ja, dass Sie sich daran noch erinnern. Ein netter Mensch war er, der Dr. Müller. Er hat sich immer alle meine Sorgen angehört. Und nach meinem Bertram hat er auch immer gefragt. Und gemahnt hat er mich, dass ich mir nicht zu viel Arbeit aufhalsen soll in meinem Alter. Leider ist er ja dann verzogen. Ach ja. Geht es Ihnen gut?« Frau Bauer bückte sich stöhnend mit ihrer Kehrschaufel in der Hand zum Boden, um den Schmutz, den sie gerade zu einem kleinen Haufen zusammengefegt hatte, damit aufzunehmen.
»Ganz gut, Frau Bauer. Ganz gut. So gut, wie es einem halt geht, wenn man einen Freund verloren hat.« Max blickte nachdenklich auf seine Schuhspitzen. Er kam gar nicht auf die Idee, der alten Dame zu helfen.
»Ja, ja, Herr Raintaler. Es ist nicht leicht, wenn man jemanden verliert. Da kann ich ein Lied davon singen. Fast unsere ganzen Freunde sind inzwischen schon verstorben.« Sie machte ein unglückliches Gesicht.
Max kannte die Geschichten natürlich alle im Einzelnen. Ob nun die von Ernst Hartmann, der an Lungenkrebs verschieden war, oder die von Hansi Holzbauer, den ein Auto direkt vom Zebrastreifen gefegt hatte. Genau wie die der vielen Anderen. Und da er sie im Moment auf keinen Fall schon wieder alle hören wollte, sprach er einfach beschwingt weiter.
»Ja, Frau Bauer, schlimm. Aber heute wollen wir nicht traurig sein. Heute begrüßen wir fröhlich den Tag und leben auf der Sonnenseite. Stimmt’s?«
»Jawohl, Herr Raintaler. Sie haben ganz recht. Lassen wir uns den schönen Tag nicht von traurigen Erinnerungen verderben. Auf Wiederschauen.« Wie wunderbar, dass er endlich wieder bessere Laune hat, freute sie sich. In den letzten Tagen hat er mir gar nicht gefallen.
»Auf Wiederschauen, Frau Bauer.«
Herrschaftszeiten. Das Wetter wird ja immer besser, genial, bemerkte Max, als er auf den sonnigen Gehsteig vor dem Haus trat. Es hat bestimmt schon zwanzig Grad. Und das so früh am Tag. Er sah auf seine Uhr. Viertel vor neun. Oh, da darf ich mich jetzt aber sputen. Nicht, dass ich auch noch zu spät zum Frühstück mit ihr komme. Er legte einen Zahn zu und ließ die inzwischen immer bunter blühenden Isarauen schnell hinter sich. Keine zehn Minuten später gelangte er vor Annikas Hotel an. Er trat ein und fragte beim Empfang nach dem Frühstücksraum.
»Gleich da vorne rechts«, erklärte ihm die adrett gekleidete, dunkelhaarige Frau hinter ihrem großzügigen Tresen freundlich.
Er folgte ihrer Anweisung und gerade, als er den kleinen Saal betreten wollte, stand auf einmal Annika neben ihm.
»Guten Tag, Herr Expolizist«, begrüßte sie ihn, freundlich aber neutral lächelnd wie eine Stewardess.
»Hallo, Annika.« Er lief rot an, ohne es zu wollen.
»Oh, wie süß. Ich habe gar nicht gewusst, dass so harte Verbrecherjäger wie du auch rot werden können.« Der beißend ironische Unterton in ihrer Stimme war nicht zu überhören.
Verdammt, die ist immer noch stinksauer, weil ich gestern abgehauen bin. Max wurde noch roter.
»Tut mir leid wegen gestern«, haspelte er. »Ich war sicher, dass ich den richtigen Verdächtigen im Visier hatte. Dann war es
Weitere Kostenlose Bücher